Macht Facebook das Internet kaputt?

Das freie Internet schafft sich ab. Redner auf der Republica meinen: Schuld daran sind die sozialen Netzwerke.

Frei sollte das Internet sein, Bildung und Demokratie fördern. Diese Hoffnungen wurden laut Eben Moglen und Mishi Choudhary nicht erfüllt. Die Forscher des „Software Freedom Law Center“ sagten in ihrer wütenden Eröffnungsrede auf der Republica: „Aus dem Internet der Möglichkeiten ist ein Internet der Überwachung entstanden“. Und statt den Bürgern würden Staaten und große Plattformen wie Facebook und Google den Ton im Netz angeben.

Besonders viel Schelte von Moglen bekam Facebook: „Social Media ist nur dazu da, um Neid zu stiften“. Nutzer würden nur die schönen Seiten des Lebens zeigen – und die Produkte, die sie dafür angeblich brauchten. Laut Moglen ein perfektes Umfeld für Werbung. Unternehmer wie Mark Zuckerberg würden dadurch Millionen verdienen. Der gesellschaftliche Effekt: Das Klima des Neids auf Facebook drücke sich in Hasskommentaren und einem schlechten politischen Klima aus.

Internet fördert Despotismus, nicht Demokratie

Ein weiteres Problem: Die Masse der in den Netzwerken gesammelten Daten sind nicht nur für Werbeträger interessant. Besonders interessant sind sie für Staaten. Facebook und Instagram bilden laut Moglen die soziale Realität sehr gut ab. Deshalb bestehe vor allem bei despotischen Staaten die Gefahr, dass zivile Kommunikation überwacht werde.

Kritik an Social Media gibt es nicht nur wegen Überwachung. Hossein Derakhshan, einer der wichtigsten Blogger Irans, führt den schleichenden Tod des intellektuellen Internets auf die Einführung von Facebook zurück. Seine Rede führte er, anders als Moglen und Choudhary, eher ruhig. Was nicht heißt, dass er weniger kritisch war.

Tod des intellektuellen Internets

Hossein Derakhshan hatte bei seiner Facebook-Kritik vor allem die Bloggerszene Irans vor Augen. Bevor er ins Gefängnis ging, gab es eine große und lebendige Bloggerszene im Iran, Blogs waren miteinander verbunden durch Hyperlinks. Nachdem er im Jahr 2014 nach sechs Jahren Haft entlassen wurde, sind fast alle Blogger zu Facebook abgewandert. Ihre Beiträge veröffentlichten sie nun bei Facebook.

Das Internet vor Facebook sei eine Art Bibliothek gewesen. Die Verbindung von Homepages und Blogs durch Hyperlinks habe laut Derakhshan Austausch und Debattenkultur gefördert. Soziale Netzwerke seien aber keine Fans von Hyperlinks: Sie seien lineare, geschlossene und zentralisierte Plattformen. Selbst externe Seiten werden standardmäßig – jedenfalls wenn man die Facebook-App benutzt – im Facebook-eigenen Browser geöffnet. Schwierig, vor allem wenn man bedenkt, dass ein Großteil der User Facebook ausschließlich auf dem Handy oder Tablet nutzen.

Zudem werden Nachrichten und Beiträge  von Facebook vorselektiert. Und den Facebook-Algorithmus interessieren vor allem zwei Dinge: Wie neu die Beiträge sind und wie viele Likes sie sammeln. Likes erhalten aber vor allem Beiträge mit Bildern. So werden Bilder wichtiger als Texte, argumentiert Derakshan – und das Internet als Bibliothek verwandele sich zum selektierenden „Fernsehkanal Internet“.

Die letzte Generation

Derakshshan führt außerdem die vergiftete Stimmung in Politik und Gesellschaft auf Facebook zurück. Durch die Selektion der Beiträge würden Nutzer vor allem mit Sichtweisen konfrontiert, die in ihrem sozialen Umfeld populär seien. Dadurch würden die Leute Probleme einseitiger betrachten und sich radikalisieren. Das wirke sich auch auf die Politik aus – und könnte beispielsweise eine Erklärung für die Popularität Donald Trumps sein.

Er fordert deshalb, die sozialen Netzwerke umzugestalten. Das Internet der Verlinkungen, das Internet als Bibliothek müsse wieder zum Leben erweckt werden. „Das Internet“, so Derakhshan „darf in Zeiten wie diesen Menschen nicht beruhigen. Es muss vielmehr Menschen überraschen und herausfordern.“

Eben Moglen und Mishi Choudhary gehen noch einen Schritt weiter: Sie fordern die Menschen dazu auf, aus dem Gefängnis auszubrechen, zu dem sich das Internet verwandelt habe. Dazu müsse man ein komplett verschlüsseltes Netz schaffen, in dem einzelne Nutzer nicht mehr zurückverfolgt werden können. „Diese Generation ist die letzte vor dem Zeitalter des Internets als perfektem Überwachungsinstrument“, sagt Moglen. Laut Moglen und Choudhary ist diese Generation die letzte, die diesen Wandel schaffen kann.

Foto: re:publica/Jan Zappner (CC BY 2.0)

Das Video zum kompletten Panel von Eben Moglen und Mishi Choudhary gibt es hier:

Und hier die komplette Keynote von Hossein Derakhshan:

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Minh Thu Tran
Aufgewachsen in einer schwäbischen Kleinstadt. Wollte von dort so schnell wie möglich weg und ist deshalb nach München gezogen. Versucht sich als Journalistin, u.A. bei http://siekommen.org. Zwitschert als @tran_vominhthu.

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