Editorial

Eine Bundeskanzlerin, immer mehr weibliche Führungskräfte und eine junge Journalistin, die der Feminismus „anekelt“: In Deutschland scheint Frauen der Weg nach oben genauso offen zu stehen wie Männern. Warum also noch über Gleichberechtigung reden?

Sie ist die mächtigste Frau der Welt: Seit 2005 regiert Angela Merkel Deutschland und beeinflusst die internationale Politik. Als sie zum ersten Mal gewählt wurde, war „Bundeskanzlerin“ ein Neologismus und wurde „Wort des Jahres“. Machtpositionen scheinen für Frauen in Deutschland heute genauso zugänglich zu sein wie für Männer. Wozu also die Feminismus-Debatte und Diskussionen über Gleichberechtigung, wenn Frauen es doch längst ganz nach oben schaffen?

Das fand auch Ronja von Rönne und veröffentlichte im Frühjahr 2015 in der „Welt“ ihren Essay „Warum mich der Feminismus anekelt”. Sie schrieb: „Ich habe einfach selbst noch nie erlebt, dass Frausein ein Nachteil ist.“ Schön für sie. Viele Frauen in Deutschland können das nicht von sich sagen. Das Buch „Because it’s 2016“ erzählt ihre Geschichten.

Frauen und Männern werden Steine in den Weg gelegt

Edeltraud Walla arbeitet als Schreinermeisterin in Stuttgart und bekommt 40 Prozent weniger Lohn als ein männlicher Kollege – für dieselbe Arbeit. Seit sechs Jahren kämpft sie vor Gericht für gerechte Löhne. Maria Ciccotti will nach ihrer zweiten Elternpause zurück in den Beruf und hat mehr als 100 Bewerbungen geschrieben – ohne Erfolg. Käthe Baumann hat ihr Leben lang als Landwirtin gearbeitet und zwei Kinder großgezogen. Im Alter ist sie zum Überleben auf das Gnadenbrot der Tafel angewiesen.

„Because it’s 2016” erzählt aber auch von Männern. Sie leiden ebenso unter stereotypen Geschlechterrollen: Felix Bohra-Grieser schulte mit 38 zum Erzieher um. Er entschied sich für einen traditionellen Frauenberuf – und damit für ein karges Gehalt. Auch Väter wie Klaas Fröhlich bekommen zu spüren, dass die Kindererziehung vielerorts noch immer als Frauensache gilt. Wenn er mit seiner Tochter auf den Spielplatz geht, fühlt er sich unter all den Müttern manchmal wie ein Außerirdischer.

Care-Arbeit, geringer Lohn und Altersarmut

Die Geschichten in unserem Buch zeigen: Männer und Frauen haben in Merkel-Land längst nicht gleiche Chancen. Schon beim AUFWACHSEN sortieren sich Mädchen und Jungen mangels anderer Vorbilder oft noch immer entlang der stereotypen Geschlechterrollen. Frauen ARBEITEN im Job für weniger Geld als Männer, im Haushalt und mit den Kindern für lau und werden obendrein oft aufs Aussehen reduziert. Wenn Frauen ANPACKEN, zeigen sie aber, dass sie mindestens genauso viel draufhaben wie Männer. Trotzdem werden sie oft unterschätzt, viele Karriereversuche enden an der gläsernen Decke. Vielen droht ein ABRUTSCHEN in die Altersarmut. Im Vergleich zu früher schaffen es zwar mehr Frauen, beruflich aufzusteigen. Doch die nach wie vor anfallende Haus- und Care-Arbeit, die die Karrierefrauen nicht mehr leisten können, bewältigen dafür nun andere Frauen.

Geschlechterklischees verschwinden nur langsam

„Because it’s 2016“ zeigt: Die Feminismus-Debatte und Diskussionen über Gleichberechtigung sind heute so nötig wie eh und je. Dabei geht es nicht darum, die Herrschaft des Mannes durch eine Herrschaft der Frau zu ersetzen. Es geht um gleiche Rechte und Chancen für Männer und Frauen, für Menschen jeglicher sexuellen Identität.

Selbst Ronja von Rönne hat sich inzwischen von ihrem Pamphlet distanziert. Es sei nie ihr Plan gewesen, „die Galionsfigur des Antifeminismus“ zu werden. Den Axel-Springer-Preis, den sie für ihren Essay erhalten sollte, lehnte sie ab.

Klar ist: Die Geschlechterklischees werden wohl so schnell nicht verschwinden. Ein Spitzname für die mächtigste Frau der Welt lautet: „Mutti“.

Illustration: Lotte Düx

Hier gibt es das ganze Buch: „Because it’s 2016“ – Ein Projekt der Vodafone Stiftung in Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule.

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