Zimmermädchen und Roomboys bekommen für harte Arbeit wenig Geld. Hinter den Zimmertüren erwartet sie Chaos, viele Gäste bemerken sie gar nicht. Aus dem Alltag eines prekären Berufs – an dessen Ende oft die Altersarmut steht.
Zimmer 123. Es riecht nach abgestandenem Rauch, Holz und Teppich. Ilona Meier* seufzt. Die 50-Jährige geht schnellen Schrittes zur Balkontür, reißt sie auf. Der Geruch verfliegt nur langsam. „Das ist ein Mann“, ruft sie ihrem Kollegen Taha Abuelaish* zu und verharrt an der Tür. Über den roten Teppichboden verteilt liegen zerknitterte Hemden, Socken und Unterhosen. Ebenso auf den rustikalen Möbeln. Das Bett ist zerwühlt. Es vergehen einige Sekunden, bis sie weiterspricht. „Das liebe ich ja. Aschenbecher im Zimmer vergessen“, sagt sie mit leicht sächsischem Dialekt. Manchmal verflucht sie Raucher, auch wenn sie selbst raucht. Es vergehen einige Sekunden, ehe der Geruch für sie erträglich ist. Die beiden fangen an, das Zimmer zu reinigen.
Ilona Meier ist Zimmermädchen in einem Drei- Sterne-Hotel am Ostufer des Starnberger Sees. Sie kommt aus Gera in Thüringen. Erst im Jahr 2009 zog sie mit ihrem Mann nach Bayern. Er bekam eine Stelle als Schichtführer bei einem Zulieferer von Autoteilen. Sie arbeitet seitdem hier im Hotel. Es liegt direkt am Wasser und hat 59 Zimmer. Meier ist groß. Ihre Gesichtszüge sind markant. Sie zeigen die Spuren eines harten Arbeitslebens. Das weißblonde Haar hat sie zum Zopf gebunden. Zum weißen T-Shirt trägt sie Hose, Socken, Schuhe ganz in Schwarz.
Ein einziger Roomboy
Taha Abuelaish ist der einzige Roomboy im Hotel – so werden männliche Zimmermädchen genannt. Der 31-Jährige kommt aus Palästina, dort war er Rezeptionist. Im Jahr 2014 macht er Urlaub in Deutschland, verliebt sich in eine Frau. Zurück in Palästina entscheidet er sich, bei seiner Liebe zu leben. „Ich habe alles zurückgelassen“, erzählt er. Einige Monate läuft die Beziehung gut, dann geht sie zu Bruch. Abuelaish will aber in Deutschland bleiben. Kurz bevor sein Visum abläuft, findet er schließlich die Lehrstelle im Hotel.
Seit September 2015 ist er hier Lehrling. Für ihn ist es normal, dass auch Männer in Hotels Zimmer reinigen. In den nächsten Stunden wird er Meier unterstützen. Sie hat eine feste Routine: Balkontüren und Fenster aufmachen, Müll rausnehmen, Betten abziehen, neue Sachen holen, Bad putzen, Betten beziehen, Flächen abwischen, Saugen. Als sie ins Bad tritt, schüttelt sie verständnislos den Kopf. „Wie kann man nur so Zähne putzen?“ Der Spiegel ist voll mit Zahnpasta. Sie schaut auf die ausgefranste Zahnbürste. „Der gute Mann braucht dringend eine neue.“ Nachdem sie das Bett gemacht hat, legt sie den Schlafanzug des Gastes ordentlich zusammen. Sie muss das nicht. Aber sie tut es gerne. Sie lächelt. Das Zimmer ist fertig.
22 Zimmer putzen Meier und Abuelaish heute
Nach ihrer mittleren Reife machte Meier eine Ausbildung zur Textilfacharbeiterin, landete dann in der Logistik. Danach hat sie viele Berufe angenommen, überall, wo es eben Arbeit gab. „Ich stand auch schon hinter der Bar in einer Lesben- und Schwulendisco.“ Gekündigt wurde ihr nie. Auch sie hat noch nie gekündigt. Alles Aufhebungsverträge. Eine Tochter und einen Sohn brachte sie zur Welt, zog beide auf. Ihre Tochter lebt noch in Gera, hat selbst zwei Kinder. Über ihren Sohn will sie nicht reden.
Zimmer 134. Eine Abreise. Der Gast ist schon weg. Das steht auf ihrem Zettel, den sie bei Arbeitsbeginn um 8.30 Uhr bekommen hat. 22 Zimmer soll sie mit Abuelaish heute machen, das gesamte Stockwerk. Sie öffnet die Tür, stellt den Putzkorb hin, lehnt den Wischmob an die Wand. „Das war ein netter Gast. Der hat die Balkontüre geöffnet.“ Sie macht das Radio an. Popmusik dröhnt aus den Lautsprechern. „Wenn ich weiß, dass keiner da ist, dann drehe ich voll auf.“ Sie geht ins Bad, stellt sich in die Dusche, besprüht die Glaskabine mit Reinigungsmittel. Abuelaish bezieht die Betten neu.
Zimmermädchen verdienen im Durchschnitt 1400 Euro brutto
Für das Housekeeping hier im Hotel sind zehn Personen zuständig. Neun Frauen, ein Mann. Meier bekommt ein festes Gehalt. Das ist nicht die Regel, denn Zimmermädchen in einigen anderen Hotels werden pro Zimmer bezahlt. Der durchschnittliche Lohn für Zimmermädchen und Roomboys liegt in Deutschland bei etwa 1400 Euro brutto, das bestätigen mehrere Gehaltsrechner im Netz. Im Jahr 2002 wollte Meier den Beruf kennenlernen. Damals arbeitete sie zur Probe, 14 Tage lang, in einem Vier-Sterne-Hotel am Wörthersee in Österreich. Ihr Arbeitstag ging von 8 Uhr bis 20 Uhr.
Nach ihrer Probezeit bekam sie ein Angebot über monatlich 700 Euro brutto. Viel zu wenig, fand sie: „Ich habe einfach nur Tschüss gesagt und bin gegangen.“ Mit ihrem Gehalt hier im Hotel ist sie zufrieden. Solange sie arbeitet, reicht das Geld. Doch im Berufsleben werden die Weichen gestellt für später, für das Alter. Und dann könnte Ilona Meier abrutschen: Erst vor kurzem hat sie ihre Rente ausgerechnet. Sie kommt bisher auf 700 bis 800 Euro. Zu wenig, wie sie sagt. Sie würde ohne die Rente ihres Mannes am Existenzminimum leben.
An Altersarmut will Meier noch nicht denken – aus Zweckoptimismus
Altersarmut betrifft vor allem Frauen. Sie sind seltener berufstätig, arbeiten oft in Teilzeit und bekommen weniger Lohn. Hinzu kommen Zeiten, in denen sie nicht erwerbstätig sind, zum Beispiel, wenn sie Kinder erziehen. Die Folge ist eine Rentenkluft zwischen Frauen und Männern.
An Altersarmut will Meier jetzt noch nicht denken. Aus Zweckoptimismus, wie sie sagt. Sie holt den Staubsauger.
Mit einer Hand führt sie das Saugrohr, mit der anderen schiebt sie die Möbel beiseite. Nach 20 Minuten ist das Zimmer fertig. Wie lange sie für ein Zimmer braucht, kann sie nicht sagen. Das hängt von mehreren Faktoren ab: Ist es ein Abreise- oder Bleibezimmer, wie ist der Zustand, gibt es Extrawünsche? Und dann ist da immer irgendetwas, das man übersieht. „Das perfekte Zimmer gibt es nicht“, sagt sie und zieht die Tür hinter sich zu.
Mittagspause. In einem kleinen Raum hinter der Küche trifft sich Ilona Meier mit ihren Kolleginnen. Zum „Schnitzel essen“, wie sie sagt. Das ist ein Codewort für Raucherpause. Ein kleines Fenster lässt ein paar Sonnen-Raumes ein. Meier und ihre Kolleginnen sitzen um einen alten Holztisch. Jede hier raucht. Zigarette aus. Nächste Zigarette. Es ist so ruhig, dass man hört, wie die Zimmermädchen den Rauch ausatmen. In der Küche klappert jemand mit Geschirr. Wer besser Zimmer machen könne, fragt eine der Frauen. „Was für eine Frage, Frauen natürlich“, antwortet Yvette Krause* spöttisch, zieht an ihrer Zigarette, schaut zur Decke.
Sie hebt ein Haar auf: „Eine Blondine“
Von ihr wurde Meier damals an den Starnberger See gelockt. Bis 2011 war Krause hier im Hotel selbst Zimmermädchen, wechselte dann aber in den Frühstücksservice, wegen der besseren Arbeitszeiten. Dann ist sie daheim, wenn ihr Sohn aus der Schule kommt. Nach drei Zigaretten ist die Pause für sie vorbei.
Zimmer 121. Meier klopft, wartet kurz, sperrt auf. „Halleluja, ein chaotisches Zimmer“, ruft sie Taha Abuelaish zu. Es riecht nach Parfüm. Sie zieht die Balkontür auf. Geöffnete Koffer liegen herum. Schminksachen, Halsketten und Papiertücher bedecken Kommode und Nachttisch. Auf dem Couchtisch steht eine goldfarbene Handtasche mit silbrigen Pailletten. Meier hebt ein Haar auf. „Eine Blondine“, sagt sie. Abuelaish schaltet den Staubsauger ein. Meier putzt das Bad.
Für Meier ist es nicht ermüdend, von einem schmutzigen Zimmer ins nächste zu kommen. „Darüber darfst du nicht nachdenken“, sagte sie Abuelaish gleich in seiner Anfangszeit. „Das ist wie daheim, wenn du sauber machst und deine Kinder machen sofort wieder alles dreckig.“ Vor verschmutzten Zimmern ekelt sie sich normalerweise nicht. Nur einmal hätte sie sich fast übergeben. Ein Gast hatte fast das gesamte Bad mit seinen Fäkalien beschmiert. „Der war zu dämlich, zur Toilette zu gehen“, vermutet sie. Die Reinigung musste ihre Kollegin übernehmen. Sie selbst war dazu nicht in der Lage.
Meier wünscht sich mehr männliche Kollegen
Zimmer 120. Feuchtigkeit liegt in der Luft. Meier befürchtet Schlimmes. Als sie das Bad betritt, steht sie in einer riesigen Pfütze. Klatschnasse Handtücher liegen auf dem überfluteten Boden. „Da kommt doch Freude auf“, seufzt sie, nimmt die Handtücher und wringt sie aus. Jeder ihrer Schritte wird von einem klatschenden Geräusch begleitet. Das Wasser steht so hoch, dass es aus dem Bad auf den Zimmerteppich hinausfließt.
„Genau deswegen kannst du nie sagen, wie lange du für ein Zimmer brauchst“, sagt Meier. Sie schaut Abuelaish an: „Kannst du das Bett abziehen?“ Sie wirft ihm einen Kuss zu, lobt ihren Lehrling. Sie kann Yvette Krause nicht zustimmen: „Männer können genauso gut wie Frauen Zimmer sauber machen“, findet sie. Abuelaish, der gerade das Bett neu bezieht, lacht. „Stimmt“, sagt er und fügt hinzu: „Du bist aber auch eine gute Lehrerin.“ Meier wünscht sich mehr männliche Kollegen. Denn ihre Arbeit ist körperlich sehr anstrengend. Vor allem die Wäsche ist schwer. „Männer können einfach besser anpacken.“ Sie verlässt das Zimmer, während Abuelaish saugt.
„Ohne uns würde doch nichts laufen“
Manchmal zweifelt sie an ihrem Beruf. Sie wünscht sich mehr Wertschätzung. „Das Trinkgeld wird immer weniger“, klagt sie. Diese Woche hat es noch keinen Cent geben. „Putzfeen“, wie sie Zimmermädchen und Roomboys nennt, würden auch vom Management vieler Hotels nicht genug geschätzt. Geringer Lohn, schlechte Arbeitszeiten, hoher Druck. Das sei hier im Hotel zum Glück nicht der Fall. Aber sie höre das von Kolleginnen. „Ohne uns würde doch nichts laufen. Wir sind die Basis. Das müssen die Hotels sehen.“ Ein weiteres Problem: Viele Hotels haben das Housekeeping an externe Reinigungsfirmen ausgelagert. Von den Anstellungsbedingungen dort weiß das Hotelmanagement oft nichts.
Zimmer 124. Hier wurde schon alles von einer Kollegin gemacht. Meier kontrolliert das Zimmer. Wenn später der Gast anreist, ist sie dafür verantwortlich, dass es hier sauber ist. Sie streicht die Enden der Gardinen glatt, schüttelt die Kissen auf. „Das hätte meine Kollegin besser machen können.“ Nach fünf Minuten ist sie fertig.
Bis zu ihrer Rente im Hotel zu arbeiten, das kann sich Ilona Meier nicht vorstellen. Ihr Traum war es immer, Schmuck zu designen. „Zimmermädchen war bestimmt nicht meine letzte Station. Ich kenne mich“, sagt sie, während sie an der nächsten Zimmertür klopft. Sie weiß nicht, was sie dahinter erwartet.
*Namen geändert
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