Männliche Erzieher haben es nicht leicht in deutschen Kitas. Vielen Eltern sind sie suspekt. Oft schwingt die Sorge mit, es mit Pädophilen zu tun zu haben. Dabei sind männliche Vorbilder in der frühkindlichen Erziehung genauso wichtig wie weibliche.
Es ist 8:30 Uhr in der Münchener Kindertagesstätte Little Giants. Nach und nach trudeln die Kinder der Regenbogenfisch-Gruppe ein, jedes auf seine Art: mit lautem Getöse oder schüchtern, in Superman-Shirt, Hemd oder spanischem Flamenco-Kleid. Sie alle stürmen zuerst zu David Fyans, wollen ihn erschrecken, Fangen spielen oder ihre mitgebrachten Spielzeuge präsentieren. Durch den steigenden Geräuschpegel setzt sich seine Männerstimme ab: „Bless you, Adora!“ Gesundheit. Das kleine Mädchen mit den braunen Korkenzieherlöckchen hat vergessen, die Hand beim Niesen vorzuhalten. Schneller als sie gucken kann, fischt der 27-Jährige ein Taschentuch aus einer Papierbox, wischt Adora die Nase ab und wirft die zerknüllte Rotzfahne in hohem Bogen in den Papierkorb. Das Ganze dauert keine sieben Sekunden. Fünf Paar geweitete Kinderaugen gucken Richtung Papierkorb. Fyans weiß, wie er Kinder beeindrucken kann.
Männer sind in Deutschlands Kitas noch immer rar. Seit das Familienministerium zusammen mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) das Programm „Mehr Männer in Kitas“ durchgeführt hat, sind es fast fünf Prozent, vor sechs Jahren waren es nicht einmal drei Prozent. Ein klarer Anstieg. Dennoch: Die Zahl ist noch immer extrem klein. Dabei belegen Stu- dien wie das Tandem-Projekt des BMFSFJ und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden, dass männliche Erzieher andere Methoden und Umgangsformen mit den Kindern haben. Sie brächten daher mehr Vielfalt in den Alltag der Kinder und seien eine Bereicherung für die Erziehung.
Fast jeder zweite Elternteil ist skeptisch gegenüber männlichen Erziehern
Dennoch gibt es nicht viele Männer, die sich für den Erzieherberuf entscheiden. Das hat viele Gründe. Neben geringer Bezahlung und schlechten Aufstiegschancen leiden viele Erzieher unter einem Generalverdacht: Fast jeder zweite Elternteil ist ihnen gegenüber skeptisch, viele halten sexuelle Übergriffe auf ihre Kinder für möglich.
David Fyans kennt solche Anschuldigungen nicht. Seit zwei Jahren arbeitet er als „English Assistant“ im Little Giants Kindergarten im Münchener Stadtteil Giesing. Ein Job, für den er wie gemacht scheint. Fünf Mädchen umringen ihn an diesem Morgen und buhlen um seine Aufmerksamkeit. „Sie mögen es, dass Männer hier sind, an denen sie rumklettern und hochspringen können“, erklärt er auf Englisch, während eine Fünfjährige in Prinzessin-Lillifee-Kleidchen eine Rückwärtsrolle durch seine Arme macht.
Über einen Mangel an Männern können sich die Kinder der Regenbogenfisch-Gruppe nicht beschweren. Fünf Fachkräfte sind heute für sie da, drei davon Männer. Die private Tagesstätte mit städtischer Förderung stellt eine Ausnahme dar, weil hier der Fokus auf zweisprachiger Erziehung liegt. Pro Gruppe kommen daher auf 25 Kinder drei Fachkräfte, anstatt nur 2, wie in den öffentlichen Kitas. Die dritte Person braucht keine Erzieher- oder Kinderpflegeausbildung, sondern muss lediglich englischer Muttersprachler sein.
Ein Angebot für Quereinsteiger wie David Fyans, der nach sieben Jahren Work and Travel durch Zufall in der Regenbogenfischgruppe landete. Fyans ist ein Typ Mann, den man sich nicht als erstes unter „Erzieher im Kindergarten“ vorstellt. Trainierter Bizeps, kurze dunkel- blonde Haare, Metallstecker im linken Ohrläppchen, die Hände lässig in die Hosentaschen – rein optisch könnte Fyans Surflehrer sein, Eventmanager oder Profifußballer. Den Respekt der Kinder konnte er sich trotz seiner Coolness nicht automatisch verschaffen. „Anfangs war ich sehr streng. Das hat nicht so gut funktioniert. Es dauert ein bisschen, bis man den Dreh raushat.“ Mittlerweile weiß Fyans genau, welche Knöpfe er drücken muss. Humor und umgekehrte Psychologie sind seine Schlüssel: „Wie, ihr wollt die Gurken nicht essen? Dann ess’ ich halt alle.“ Prompt gibt es lauten Protest am Frühstückstisch, und 25 Regenbogenfische reißen sich um die Gurkenschüsseln.
Damit mehr Männer als Erzieher arbeiten, muss sich ihr Ansehen verbessern
David Fyans ist das Positivbeispiel. Er ist jung und dynamisch, wirkt eher wie der verantwortungsbewusste Bruder, der auf seine 25 kleinen Geschwister aufpasst. Für Felix Bohra-Grisar war der Berufseinstieg schwieriger. Auch er ist Quereinsteiger. Im Gegensatz zu David Fyans, hat er jedoch eine Umschulung zum Kinderpfleger gemacht – mit 38. Er ist nicht wie Fyans zufällig in den Beruf hineingerutscht, sondern hat nach jahrelanger Berufserfahrung seinen Job in der Logistik-Branche dafür aufgegeben.
Ein Werdegang, der bei manchen Eltern die Alarmglocken läuten lässt. Und offenbar auch bei Kita-Leitungen. Drei Vorstellungsgespräche hatte Felix Bohra-Grisar, nach denen es jedes Mal plötzlich hieß, es werde nun doch kein Mann mehr gesucht. In der Krippe, in der er sein Praktikum machte, wollten einige Eltern nicht, dass er ihre Kinder wickelt oder die Schlafwache übernimmt. Im Little Giants Kindergarten hat es dann schließlich geklappt. Seit anderthalb Monaten ist er nun hier und bisher hat noch niemand Bedenken geäußert.
Trotzdem wirkt er zurückhaltender. Während sein Kollege ausgelassen mit den Kindern durch den Raum tobt, hält sich Bohra-Grisar stärker im Hintergrund, schneidet Gurken und legt die Schaumstoffmatten für den Sitzkreis aus. Der 1,90-Mann mit lichtem Haar und Birkenstock-Sandalen ist noch in der Eingewöhnungsphase. Sein Umgang mit den Kindern ist bedachter, seine Haltung steifer. Im Sitzkreis kniet der Kinderpfleger nach vorne gebeugt und kämpft um die Aufmerksamkeit der Kinder, während David Fyans sich gelassen im Schneidersitz zurücklehnen kann, ohne dass die Kinder ihm ausbrechen.
Erziehungsstile unterscheiden sich nicht aufgrund des Geschlechts, sondern aufgrund der Persönlichkeit
Bohra-Grisar bereut seine Entscheidung nicht. Er ist froh, dass er sich für die Umschulung entschieden hat. Langsam tastet er sich vor, erarbeitet sich den Respekt der Kinder auf seine ganz eigene Art. Während Fyans im Sitzkreis besonders von den lauten Kindern belagert wird, schenkt Bohra-Grisar den ruhigeren seine Aufmerksamkeit. Die schüchterne Lara kuschelt sich an ihn und weint, weil sie sich nicht traut, ihr Spielzeug vorzustellen. Der Kinderpfleger legt den Arm um sie und schlägt ihr vor, es später einer kleineren Gruppe zu präsentieren. Darauf kann sich Lara einlassen.
Wie Bohra-Grisar entscheiden sich immer mehr Männer und Frauen für den Quereinstieg als Erzieher. Dank eines neuen bundesweiten Modellprogramms des Europäischen Sozialfonds soll er künftig noch einfacher werden. „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ ist mit 34 Millionen Euro dotiert und soll bis 2020 laufen. Doch damit wirklich mehr Männer kommen, muss sich das Ansehen männlicher Erzieher ändern.
„Es gibt diese Stigmata“, sagt David Fyans. „Ich hatte sie anfangs selbst. Das Vorurteil, dass alle männlichen Erzieher irgendwie feminin und schüchtern sind. Aber das stimmt gar nicht.“ Letztlich sei jeder Erzieher individuell, weswegen sich die Erziehungsstile auch nicht aufgrund der Geschlechter, sondern aufgrund der Persönlichkeiten unterscheiden. Und da brauche es möglichst viele verschiedene. „Jedes Kind hat seinen Lieblingserzieher oder seine Lieblingserzieherin. Dabei ist ihnen das Geschlecht völlig egal“, sagt Fyans. Dann ergänzt er: „Außer, wenn es ums Physische geht. Da sind die Männer im Vorteil.“
Kaum hat er ausgesprochen, steht Holly auch schon wieder Schlange, um von ihm durch die Luft gewirbelt zu werden. Er nimmt das kleine Mädchen hoch und wirft sie vorsichtig auf die dicke Matratze der Kuschelecke, wo Thomas mit einem Umhang aus der Verkleidungskiste auf und ab hopst. Kaum hat er sie abgelegt, rappelt sie sich wieder auf und klammert sich erneut an Fyans’ Bein. Kinderwirbeln in Dauerschleife – so lässt sich auch der Bizeps trainieren.
Foto: Pixabay (CC0)
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