Tracke sich, wer kann!

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Die Gesundheitsindustrie boomt. Der moderne Mensch will sich selbst optimieren und meint damit vor allem seinen Körper: Gesünder essen, mehr Sport, weniger Alkohol. Der neue Lifestyle heißt Fitsein. Und das geht dank Technologien zur Selbstkontrolle mittlerweile 24/7. Kann das gesund sein?

Saskia Frank sitzt im Münchener Prinzregent Theater und tippt in ihr Handy. Bevor die Probe losgeht, muss die 26-Jährige noch schnell bei Up eingeben, was sie heute gegessen hat. Die Handyapp ist mit einem schmalen schwarzen Gummiband an ihrem Handgelenk verbunden. Das Armband zeichnet auf, die App führt die Daten zusammen und wertet sie aus: Schlaf, Bewegungen, Essen. Heute Abend waren das zwei Tassen Eisbergsalat, eine Portion Feta, eine mittelgroße Paprika, dazu ein Dressing aus einem EL Balsamico, einem halben EL Olivenöl, zwei TL Senf und Honig. Insgesamt 300 Kalorien. Das ergibt einen Foodscore von 7,5 (10 ist der Bestwert). Oberes Mittelmaß. Up gibt ihr ein „OK“ als Wertung. Es geht noch besser.

Die App ist so gut programmiert, dass sie die meisten Nahrungsmittel am Barcode oder sogar via Foto erkennt. So weiß sie auf das Gramm genau, wie viel Ballaststoffe, Fette und Eiweiß Saskia Frank am Tag zu sich genommen hat. Die Regieassistentin interessiert das. Die App verspricht ihr die größtmögliche Garantie beim Erreichen ihres Ziels: fünf Kilo in 15 Wochen verlieren.

Über 100.000 Gesundheits-Apps

Noch sind es vor allem junge, technikaffine Leute, die sich selbst tracken, um fit zu werden und nachhaltig Gewicht zu verlieren. Doch der Trend nimmt zu. Über 100.000 Apps rund um Gesundheit gibt es mittlerweile, mit denen immer mehr Nutzer versuchen, ihre Körper zu perfektionieren. Es geht dabei nicht bloß darum, nicht dick zu sein. Wer schön sein will, muss heute fit sein. Dahinter steht ein Boom der Gesundheitsindustrie. Immer mehr Menschen wollen ihren Gesundheitszustand genau analysieren, um ihn selbstständig zu optimieren. Was wäre da praktischer, als eine App, mit der man sich in Eigenregie rund um die Uhr selbst vermessen kann?

Das Besondere dabei ist die Software dahinter. Sie gibt nicht nur Anweisungen und erinnert den Nutzer daran, dass er beispielsweise sein Tagesschrittziel noch nicht erreicht hat. Sie personalisiert sich auch auf das Individuum. Drückt der Nutzer oft „Gefällt mir“, erhält er verstärkt Hinweise von der App. Neben Anmerkungen zum Verhalten gibt sie Tipps, wie man z.B. schneller einschlafen kann. Saskia Frank findet diese Hinweise sehr hilfreich. „Es macht mir Spaß zu sehen, was man an sich verbessern kann und ob es einem dann auch besser geht.“

Leistungsprinzip als Ursache

Die Ursache für den Hang zur Selbstoptimierung sieht Sportpsychologe Dr. Thomas Ritthaler in der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung. „Das Leistungsprinzip gilt schon lange. Seit Jahren bekommen wir verkauft, dass unser Land untergeht und nicht wächst.“ Dies sei der Grund, warum man sich immer mehr steigern wolle. Insbesondere, indem man immer mehr Daten über sich selbst sammelt.

Um dies zu optimieren, gründeten die Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly 2007 im Silicon Valley das Netzwerk „Quantified Self“. Es umfasst über 100 Gruppen, die regelmäßig zusammenkommen und sich über Self-Tracking austauschen. Das Motto: Selbsterkenntnis durch Zahlen. Die Idee ist eine Rundumvermessung. Neben Bewegungen, Ernährung und Schlaf lassen sich Puls und Herzfrequenz, sowie zunehmend auch Stimmungslagen messen.

Durchoptimierung bis ins Schlafzimmer

Einer, der die Selbstvermessung perfektioniert hat, ist Florian Schumacher. Er ist überzeugter Anwender von Selftracking-Technologien, bezeichnet sich selbst als „Trendscout und Technologiepioneer“. In seiner Wohnung hat er das Licht so programmiert, dass es seinen Hormonhaushalt steuert. Zum Schlafen trägt er Sensoren, zum Sport legt er sich Elektroden an. Schumacher überwacht sich pausenlos selbst. Er sieht darin nur Vorteile. Für ihn sind die Techniken ein Werkzeug, das der Funktion eines Arztes oder Coaches gleichkommt. „Technologien zur Selbstvermessung geben eine präzisere Antwort, als Körperwahrnehmung. Etwas, was früher relativ teuer, aufwendig und eigentlich nur Spitzensportlern vorbehalten war, wird jetzt in die Masse gebracht. Das ist eine ganz tolle Möglichkeit sich selber zu verändern, zu verbessern.“

Motivationseffekt vs. freie Entscheidung

Dass die Technologien einen Motivationseffekt haben, ist bereits wissenschaftlich erwiesen. Auch Saskia Frank hat sich schnell durch die App angespornt gefühlt. Wenn sie am Ende des Tages ihr Schrittziel von 5.000 noch nicht erreicht hat, geht sie nochmal eine extra große Runde mit dem Hund. Auch ihr Essverhalten hat sich verändert. „Man hat halt so ein schlechtes Gewissen. Wenn man zum Beispiel einen Schokokeks isst und der verdammte Keks hat einfach 200 Kalorien, dann überlegt man sich zweimal, ob man den jetzt wirklich isst.“

Die Frage ist nur, ab wann aus der Motivation Zwang wird. Laut Sportpsychologe Ritthaler passiert das, sobald man die freie Entscheidung abgibt. „Das Problem entsteht, wenn ich etwas tue, um etwas zu erreichen.“ Dabei spiele auch die starke Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken eine Rolle. Doch nicht nur Selbstdarsteller, auch Breitensportler würden immer mehr an ihre Grenzen und darüber hinausgehen. „Die Tendenz ist gerade im Bereich des Ausdauersports zu sehen. Auch bei uns in der Praxis haben wir einige Burnout-Fälle.“ Dennoch sieht Ritthaler die Selftracking-Technologien selbst nicht als Problem. „Wenn ich weiß, wie sie funktionieren und mich bewusst dafür entscheide, dann ist es unglaublich spannend, sowas mal auszuprobieren. Aber nur, solange ich jederzeit frei bleibe zu sagen: Nö, ich machs nicht.“

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Caroline Wiemann
1992 in Mainz geboren, Theater und Publizistik studiert. Jetzt: Deutsche Journalistenschule & siekommen.org. Twittert unter @CaroWiemann.

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