Im Abseits

Die Fecht-Olympiasiegerin Britta Heidemann haben wohl mehr Menschen nackt im Playboy gesehen als auf der Planche. Oberstes Gebot in der Männerdomäne Sport: Wer als Athletin, Trainerin oder Journalistin Beachtung will, muss gut aussehen.

Mit einem Handgriff schleudert sie ihren Gegner zu Boden. Es knallt, als sein Oberschenkel auf die gelbe Matte prallt. Brigitte Wagners Bewegungen wirken kraftvoll und präzise. Es ist Dienstagabend: Wagner trainiert mit der Herrenmannschaft des SV Siegfried Hallbergmoos. In dieser Halle hat die ehemalige Weltmeisterin im Ringen ihren ersten Kampf gekämpft. Sie ist die einzige Frau in der Halle. Die einzige Frau im gesamten Verein.

Auch wenn sie keine Wettkämpfe mehr ringt, „ihre Jungs“ sind ihr wichtig. Sie verpasst kein Training, obwohl sie im Januar ihren Posten als Trainerin des Herrenteams aufgegeben hat. Nach den unzähligen Wochenenden voller Wettkämpfe als Ringerin und Trainerin brauchte sie eine Pause von den Verpflichtungen. Als Trainerin eines Männerteams war Wagner eine Ausnahme, in ihrer Rolle als einzige Frau in einem Ringerverein ist sie die Regel.

Die wenigsten Ringervereine in Deutschland bekommen eine Mädchen- oder Damenmannschaft zusammen. Brigitte Wagner hat es in ihrem Sport dennoch in die Spitzenklasse geschafft, wurde Weltmeisterin und trat bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen an. Leben konnte sie vom Sport aber nicht. Trotz Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe arbeitete sie während ihrer gesamten Karriere in Vollzeit als Verwaltungsfachangestellte.

„Über Ringerinnen wird nicht viel berichtet. Sie entsprechen nicht dem weiblichen Schönheitsideal“, sagt Schaaf

Daniela Schaaf, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin an der Deutschen Sporthochschule Köln, erklärt, warum es Frauen gerade in Randsportarten wie dem Ringen schwer haben: „Es ist eine männlich konnotierte Sportart, und es wird nicht gern über Ringerinnen berichtet, weil ihre Körper sehr muskulös sind. Sie entsprechen nicht dem weiblichen Schönheitsideal.“

Keine Medienaufmerksamkeit bedeutet keine Sponsoren für die Sportlerinnen. Keine Sponsoren heißt keine finanzielle Absicherung. In der Sportwissenschaft nennt man das die „Unterdrückung unerwünschter Körper“. Journalisten berichteten öfter über Frauen in Sportarten wie Turnen oder Eiskunstlauf, so Schaaf. Diese zählten zu den „ästhetisch-kompositorischen Sportarten“, bei denen Eleganz und Anmut im Vordergrund stünden.

Bei der Auswahl von Sport moderatorinnen castet der „männliche Blick“ mit

Aber nicht nur in der Sport-Berichterstattung fehlen Frauen häufig. Auch in den großen deutschen Sportorganisationen sind sie in der Unterzahl. „Sobald es um Geld geht, versuchen die Männer die Frauen aus ihrem Terrain zu drängen. Alle Entscheiderpositionen in Deutschland, bei denen es darum geht, die Machtdefinition von Sport zusichern, werden von Männern gehalten“, stellt Schaaf fest. Sie ist eine der wenigen Wissenschaftlerinnen in Deutschland, die zum Thema Gleichberechtigung im Sport forscht.

Die Ergebnisse ihrer Studien zeigen: Nur sehr wenige Frauen besetzen im Sport Führungspositionen. Etwa zehn Prozent sind es in den Verbänden des Deutschen Olympischen Sportbundes, dem größten deutschen Sportverband. Im Sportjournalismus sind es sogar insgesamt nur etwa acht Prozent. Und diese acht Prozent würden auch nach speziellen Kriterien ausgesucht: „Wir haben häufig Barbiepuppen on-screen. Ich sehe da diese langhaarige, Extensionlastige Sportmoderatorin, die auch im FHM oder einem anderen Männermagazin auftauchen könnte“, sagt Schaaf. Diese Besetzung hänge damit zusammen, dass die Rezipienten und Redakteure meist Männer seien und mit einem „männlichen Blick“ casteten. Gerade bei privaten Sportsendern wie Sport 1 sei das der Fall.

Eine Sport 1-Moderatorin, die im März 2016 Teil der Debatte wurde, ist Laura Wontorra. Das Meinungsforschungsinstitut „mafo.de“ wählte sie zur „heißesten Sportmoderatorin Deutschlands“. Die Zeitschrift „sportjournalist“ veröffentlichte das Ergebnis und löste damit eine Diskussion darüber aus, ob eine derartige Wahl überhaupt noch zeitgemäß sei. Sport 1 nennt die Wahl auf seiner Internetseite eine „große Ehre für Laura Wontorra“ und berichtet weiter: „Auch bei den Blondinen ist Sport 1 ganz vorn vertreten. Die Tochter des früheren Doppelpass-Moderators Jörg Wontorra und aktuelle Verlobte von Kölns Stürmer Simon Zoller kam auf 31,6 Prozent der Stimmen und setzte sich damit durch.“ Der Sportsender schien weder eine Diskriminierung in der Wahl zu sehen noch die Reduktion der eigenen Moderatorin auf ihr Äußeres oder ihre Rolle als Tochter und Ehefrau in spe verwerflich zu finden. Laura Wontorra selbst hat sich bisher nicht zur Wahl geäußert.

Sportlerinnen nackt im Playboy

Einige Moderatorinnen und Sportlerinnen tragen aber auch selbst dazu bei, dass ihre Körper und nicht ihre
Kompetenz in den Medien präsentiert wird. Sportmoderatorinnen wie etwa Sarah Winkhaus von Sky und zahlreiche
Spitzensportlerinnen posierten nackt für das Männermagazin „Playboy“. Vor den Olympischen Spielen druckt das Magazin häufig eine Fotostrecke mit den „schönsten Olympionikinnen“. Daniela Schaaf sieht darin die Folge einer schlechten Beratung durch die Manager. „Die Sportlerinnen sind sich in dem Moment gar nicht bewusst, was sie tun. Aber sie haben leider männliche Manager, die sie instrumentalisieren.“ Man dürfe nicht vergessen, dass die an den Bildern mitverdienten.

Meist erhält der Manager 20 Prozent der Einnahmen der Sportlerinnen, also auch 20 Prozent des Bildhonorars. Ein Nachteil für die Athletinnen: Ihr sportlicher Erfolg gerät durch die Nacktaufnahmen zum Teil in den Hintergrund, obwohl sie eigentlich auf ihren Sport aufmerksam machen wollen.

Auch Britta Heidemann, Olympiasiegerin im Degenfechten, machte kurz vor den Olympischen Spielen 2004 Aufnahmen für den „Playboy“. Sie steht jedoch zu ihrer Entscheidung: „Ich fand es damals unheimlich aufregend. Mit den Bildern habe ich nach wie vor keine Probleme“, sagt sie. Nur selten werde sie noch darauf angesprochen, dann jedoch meist von männlichen Journalisten. Als Sportlerin fühlt sie sich nicht auf ihr Geschlecht reduziert. Sie persönlich habe auch auf Unternehmensveranstaltungen nicht das Gefühl, „nur als Frau aufzutreten, sondern vor allem als Olympiasiegerin“. In Deutschland gelte das Prinzip der Gleichberechtigung, und das werde im Sport auch so gelebt, findet Heidemann.

„Der Sport hinkt der Emanzipation im täglichen Leben hinterher“

Schaaf sieht das anders: „Der Sport hinkt der Emanzipation im täglichen Leben hinterher“, meint sie. Im Breitensport sei die Emanzipation zwar angekommen, im Spitzensport aber noch lange nicht. In vielen Sportarten sei das historisch bedingt. Gerade im Fußball, laut Schaaf die „letzte Bastion von Männlichkeit“, werde das deutlich.Bis zum Jahr 1970 war es Frauen nicht erlaubt, sich in Fußballvereinen zu organisieren. Der Sport schädige die weiblichen Fortpflanzungsorgane, so die Begründung, die damals sogar von der Wissenschaft vertreten wurde.

Zwei Fußballerinnen, die trotzdem in den Profisport wollten, sind Sissy Raith und Monika Staab. Beide haben bereits in den Siebzigerjahren auf Vereinsebene Fußball gespielt, und beide setzen sich heute stark für den Frauenfußball ein. „Wir Frauen brauchen einfach noch mehr Zeit“, findet Staab. Man könne den Frauenfußball nicht mit dem Männerfußball vergleichen und dürfe doch stolz sein, dass die deutsche Frauenbundesliga die stärkste der Welt sei. Weltmeisterin Raith sieht das ähnlich, hofft aber auf schnelle Fortschritte: „Wenn der Frauenfußball so viel Aufmerksamkeit bekäme wie der Männerfußball, hätten wir mehr Zuschauer, mehr Sponsoren, die Frauen würden viel mehr Geld verdienen, sie wären auch nach der Karriere abgesichert.“

Noch heute kämpfen Frauen in einigen Sportarten mit überholten Vorurteilen

Staab und Raith sind nach ihren Spielerkarrieren Trainerinnen geworden. Staab arbeitet für die UEFA und bringt den Frauenfußball in Länder wie Usbekistan und Ungarn, Raith trainiert den Schweizer A-Ligisten FC Staad. Eine Männermannschaft zu trainieren kann sich Staab nicht vorstellen, Raith hat es gemacht. Sie trainierte die Bezirksoberliga-Herrenmannschaft des TSV Eching und führte sie in die Landesliga. Keine Frau hat jemals einen höherklassigen Männerbundesligaverein trainiert. Nach ihrer sechsten Niederlage mit dem Verein wurde sie entlassen und musste sich vom Interimsvorstand anhören, man hätte den Männern abends nach einem langen Arbeitstag in ihrem Hauptberuf keine Frau als Trainerin mehr zumuten können. Was Raith heute als „Schnee von gestern“ sieht, ist im Jahr 2008 passiert.

Und noch heute sind Frauen in der Männerbundesliga als Trainierinnen, Schiedsrichterinnen und Journalistinnen die absolute Ausnahme. Noch heute kämpfen Frauen in einigen Sportarten mit überholten Vorurteilen. Und noch heute kann der Fußballspieler Sandro Wagner vom SV Darmstadt 98 in einem Interview behaupten, dass Frauen und Fußball nicht zusammenpassen – ohne dass mehr passiert als ein kleiner Shitstorm.

Foto: Britta Heidemann vs. Anna Sivkova / Halbfinale der Frauen / Weltmeisterschaft in Budapest 2013 © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons / CC-BY 3.0

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