Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Noch immer sind Haushalt und Erziehung in Deutschland vor allem Frauensache. Dabei möchten viele Väter gerne mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen, viele Mütter mehr Zeit im Beruf. Warum das (noch nicht) klappt, und wie Paare um eine gerechte Aufteilung ringen.

Nach der Geburt seiner Tochter verbrachte Frank Badji (38) ein Jahr zu Hause. Er nahm Elternzeit. Seine Verlobte hatte gerade ihre Ausbildung zur Altenpflegerin begonnen, eine Unterbrechung kam da nicht infrage. „Man musste mich schon ein bisschen überreden“, gesteht der Job-Coach aus Langen bei Frankfurt am Main. Ein Kollege hat Badji schließlich klargemacht: So viel Zeit wird er mit seiner Tochter nie wieder verbringen. Und diese Zeit hat er genossen. „Gerade am Anfang, wenn das Kind noch ganz klein ist, sind Körperkontakt und Zuneigung wichtig“, sagt er. „Man übernimmt dann schon so die mütterliche Rolle.“

Für gewöhnlich kümmern sich in Deutschland auch heute noch Frauen um den Großteil der Hausarbeit und der Erziehung. Im Jahr 2013 bezog laut Statistischem Bundesamt zwar knapp ein Drittel aller Väter Elterngeld – allerdings nur für die gesetzlich vorgeschriebene Mindestdauer von zwei Monaten. Zwar ähneln sich die Lebensläufe von Frauen und Männern heute stärker als früher, doch sobald ein Kind auf die Welt kommt, verfallen die meisten Paare wieder in die traditionelle Rollenverteilung.

Die Vereinbarkeit erscheint oft als Problem der Frau

Mehr als 94 Prozent aller erwerbstätigen Väter mit einem Kind unter 15 Jahren arbeiten in Vollzeit, wie aus dem Mikrozensus der Statistischen Landes- und Bundesämter aus dem Jahr 2013 hervorgeht. Bei den Müttern sind es nur 28 Prozent. Auch Frank Badji ist mittlerweile wieder voll berufstätig, während seine Verlobte in Teilzeit arbeitet.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erscheint oft als ein Problem von Frauen, nicht als gemeinsame Aufgabe eines Paares. „Das liegt unter anderem daran, dass wir immer noch traditionelle Geschlechterrollen im Kopf haben“, erklärt die Soziologin Christina Mundlos. Gerade in besonders stressigen Lebensphasen würden Menschen auf altbekannte Verhaltensmuster zurückgreifen – und ein Baby bedeutet viel Stress. Hinzu komme, dass einem Paar in der Regel die eigenen Eltern als Vorbilder dienten, und auch die hätten meist die klassischen Rollenbilder vorgelebt.

Die klassische Rollenverteilung sorgt für Unmut

Für Kristina Enns (30) und Klaas Fröhlich (29) funktioniert die klassische Rollenverteilung nicht. Die beiden Kieler studieren und haben zwei gemeinsame Töchter: Die ältere ist vier Jahre alt, die jüngere sechs Monate. Für gewöhnlich teilt sich das Paar die Verantwortung für Haushalt und Kinder. Doch gerade macht Fröhlich für ein paar Monate ein Praktikum und verbringt acht Stunden am Tag bei der Arbeit. Die beiden müssen sich arrangieren, und die neue Aufgabenteilung sorgt für Unmut.

So fühlt sich Klaas Fröhlich in der Rolle des Feierabend-Vaters nicht wohl. „Ich sitze im Büro. Kristina schreibt, dass zu Hause die Welt untergeht. Und wenn ich nach Hause komme, muss ich erstmal mit meiner Tochter schimpfen. Die Zeit mit ihr würde ich natürlich lieber anders verbringen“, erzählt er. Auch Kristina Enns ist unzufrieden: „Ich bin gerade so richtig Hausfrau und Mutti“, sagt sie. „Das gefällt mir gar nicht.“

Zwischen eigenen Ansprüchen und fremden Erwartungen

Die Ansprüche der Mütter haben sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. „96 Prozent wollen nach der Geburt ihres Kindes weiter berufstätig sein“, sagt Christina Mundlos. Vor allem Mütter in Teilzeit hätten oft den Wunsch, länger zu arbeiten. Das Problem: „Die Aufgaben, die früher nur von Hausfrauen erledigt wurden, müssen immer noch alle gemacht werden.“

Hinzu kommt eine neue, anti-feministische Bewegung, die Mundlos die „neue Hausfraulichkeit“ nennt. Frauen müssten beweisen, dass sie trotz Berufstätigkeit genügend Zeit in die Kindererziehung investieren. „Alles, was nicht selbst gebastelt, gekocht oder gebacken wurde, ist nichts wert.“ So würden sich Mütter gegenseitig unter Druck setzen.

Auf der anderen Seite sind Frauen auch dann Vorwürfen ausgesetzt, wenn sie sich beruflich einschränken, um wieder mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Im Jahr 2011 gab aus diesem Grund Anne-Marie Slaughter ihren Posten als Planungsdirektorin im Außenministerium unter Hillary Clinton auf. Ein Jahr später veröffentlichte die Mittfünfzigerin ihren viel diskutierten Essay „Why Women Still Can’t Have It All“. Viele Frauen reagierten empört, warfen Slaughter vor, sie habe ihre Vorbildfunktion vernachlässigt – obwohl sie noch immer als Professorin für Politikwissenschaften an der amerikanischen Eliteuniversität Princeton lehrt.

Eltern wollen Gleichberechtigung 

Sara Scharnhorst* (27) wird im Herbst wieder anfangen zu arbeiten. Nach zwei Jahren zu Hause mit ihrer Tochter kehrt sie als Kindergartenleiterin ins Berufsleben zurück– von null auf 40 Wochenstunden. „Das wird total seltsam“, sagt sie. „Aber ich freue mich auch darauf, mich wieder häufiger mit Erwachsenen zu unterhalten. Die haben einfach mehr zu erzählen als meine zweijährige Tochter.“

Scharnhorst wollte zwar immer Kinder haben, aber auch eine Karriere. Ausschließlich als Hausfrau und Mutter hat sich die Hamburgerin nie gesehen. Die Mutterschaft war eine ziemliche Umstellung, erzählt sie. „Zurzeit ist meine größte Sorge, was ich zum Mittagessen koche und ob ich nachher eine Regenjacke anziehen muss.“

Über solche Fragen muss sich Ende des Jahres Sara Scharnhorsts Ehemann Tom* (27) Gedanken machen. Tom arbeitet für ein Hamburger Tourismusunternehmen. Seinem Chef hat er von der geplanten Elternzeit noch nicht erzählt „Der wird nicht begeistert sein“, fürchtet er. Zwar sind Mütter und Väter, die in Elternzeit gehen, vor einer Kündigung geschützt. Doch dieser Schutz greift frühestens acht Wochen vor Beginn der Elternzeit. Wer sich früher meldet, läuft Gefahr, seinen Job zu verlieren.

Der Wunsch nach Gleichheit scheitert an der Realität

Im Jahr 2015 hat das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bundesfamilienministeriums untersucht, wie sich Eltern in Deutschland die Aufteilung von Beruf, Hausarbeit und Erziehung wünschen. Das Ergebnis: 47 Prozent der Paare wünschen sich gleich oder ähnlich lange Arbeitszeiten für beide Partner. Darüber hinaus würden 52 Prozent der befragten Väter gern die Hälfte der Kindererziehung übernehmen. Wirklich gelingen tut das aber nach eigenen Angaben nur 18 Prozent aller befragten Väter.

„Am besten wäre es, wenn beide arbeiten können“, findet auch Klaas Fröhlich. Die traditionelle Rollenverteilung hält er für nicht mehr zeitgemäß. Er könne sich auch vorstellen, weniger zu arbeiten als seine Partnerin Kristina Enns. Einen „männlichen Stolz“ empfinde er nicht. Oft scheitert der Wunsch nach Gleichheit jedoch an der Realität. Nur vier Prozent der in der Allensbach-Studie befragten Elternpaare gaben an, dass beide Partner in Teilzeit beschäftigt sind.

„Jede familiäre Auszeit hat messbare Auswirkungen“

Viele Väter sagen, sie würden gern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen – diesen Worten folgen jedoch kaum Taten. „Es ist immer noch selten, dass Männer ihre Berufstätigkeit einschränken, wenn sie Kinder haben“, sagt Soziologin Mundlos. Sie würden sehen, welche Folgen der Ausstieg aus dem Berufsleben für Frauen haben kann: keine Gehaltserhöhungen, keine Beförderungen. Kinder würden häufig noch immer einen großen Karriereknick bewirken. „Jede noch so kurze familiäre Auszeit hat lange messbare Auswirkungen“, erklärt Mundlos. „Doch solange die Väter den Arbeitgebern signalisieren, dass sie keine Auszeiten nehmen, geht auch die Diskriminierung der Frauen weiter.“

Oft würden Väter nach der Geburt eines Kindes sogar mehr arbeiten als zuvor. Ein möglicher Grund: Der Vollzeit-Job des Vaters ist finanziell notwendig, denn nach wie vor verdienen Männer in der Regel mehr Geld als ihre Partnerinnen. Der sogenannte Gender Pay Gap, die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern, liegt in Deutschland bei etwa 22 Prozent.

Väter, die beruflich kürzer treten, ernten Verwunderung

Treten Väter dann doch beruflich kürzer, stoßen sie nicht
selten auf Unverständnis. Während Frank Badji positive Erfahrungen gemacht hat, als er sich für die Elternzeit entschied, verlief der Fall von Mohamed El-Erian (57) ganz anders. Der Investmentbanker machte Schlagzeilen, als er Anfang 2014 seine Position als Vorstandsvorsitzender bei der Allianz-Tochter PIMCO aufgab – um, wie er später sagte, mehr Zeit mit seiner Tochter zu verbringen. Die Verwunderung darüber, dass ein Mann aus diesem Grund einen so gut bezahlten Job kündigte, war so groß, dass viele (vor allem englischsprachige) Medien den Fall aufgriffen und darüber berichteten.

Das Mädchen, so erzählt Mohamed El-Erian, hätte ihm eines Abends eine Liste mit 22 Ereignissen vorgelegt, die er verpasst hatte: von ihrem ersten Schultag über ihr erstes Fußballspiel der Saison bis hin zur Halloween-Parade. Die Überraschung, die El-Erians Entscheidung bei vielen auslöste, zeigt, wie ungewöhnlich es noch immer ist, wenn Väter ihre Arbeit zugunsten der Familie zurückstellen. „Oft ist ihr Wunsch, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, aber auch einfach nicht groß genug“, erklärt Mundlos „Viele knicken schon ein, wenn der Arbeitgeber nur mürrisch guckt.“

Nachholbedarf bei der Kinderbetreuung

Es ist jedoch nicht nur die Arbeitswelt, die Väter in die Vollzeit und Mütter in die Teilzeit drängt. Frank Badjis Tochter ist zwei Jahre alt, soll bald in die Kita gehen. Ein Platz steht ihr zwar rechtlich zu, den gibt es aber erst in einigen Monaten. „Man soll auch nicht vorher bei der Kita anrufen und nachfragen. Das macht es mit der Planbarkeit natürlich schwierig“, bemängelt Badji. „Gerade bei zwei Berufstätigen.“ Zurzeit springen die Großeltern immer wieder ein und passen auf ihre Enkelin auf, sie wohnen jedoch eine Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt.

Auch Christina Mundlos sieht bei der Kinderbetreuung Handlungsbedarf. „Teilweise bekommen Eltern erst drei Tage vor ihrer Rückkehr in den Beruf den Anruf von der Kita“, sagt sie. Und nicht nur bei der Betreuung der Kleinkinder müsse nachgebessert werden. Auch sei die Nachmittagsbetreuung an den meisten Grundschulen noch längst nicht genug auf berufstätige Mütter ausgerichtet. Zudem müssten die Betreuungskosten dringend weiter gesenkt werden. Es gebe Mütter, die es sich nicht leisten könnten, arbeiten zu gehen.

„Als Papa auf dem Spielplatz bist du vormittags ein Außerirdischer“

Wirklich eine Wahl zu haben, das wäre für Sara Scharnhorst ideal. Die Realität sieht anders aus: „Man spürt immer diesen Druck: vom Arbeitgeber, vom Freundeskreis, durch das Finanzielle. Da spielen unglaublich viele Dinge eine Rolle.“ Auch an der Universität lassen sich der Studienalltag und das Leben mit Kindern nicht immer leicht vereinbaren. Mit einzelnen Dozenten könne man verhandeln, bestätigen Kristina Enns und Klaas Fröhlich, zum Beispiel über Fehlzeiten, weil eines der Kinder krank ist. Aber in der Hochschulpolitik sei Elternschaft kein großes Thema. „Du hast ständig das Gefühl, Dinge zu fordern, die dir eigentlich nicht zustehen.“ Es gebe Sonderregelungen für Leistungssportler, aber nicht für Eltern.

Auch im Privaten ist es oft schwer, mit alten Rollenverteilungen zu brechen. So sind Väter, die mit ihren Kindern alltags allein zum Einkaufen fahren oder auf den Spielplatz gehen, vielerorts noch immer Exoten. „Als Papa auf dem Spielplatz bist du vormittags ein Außerirdischer“, erzählt Klaas Fröhlich. „Der überwiegende Teil sind Muttis, die sich schon vorher kannten. Und die sitzen dann in ihren Gruppen zusammen.“

Tom Scharnhorst freut sich auf die Elternzeit

Auch, dass die Väter mit den Kindern oft anders umgehen als sie selbst, scheint für manche Mütter nur schwer annehmbar. Es scheint, als wollten sie ungern die Hoheit über die Kindererziehung abgeben. Dahinter steht die Vorstellung, Frauen seien von Natur aus fürsorglicher. „Das Problem ist, dass Frauen insbesondere über Kindererziehung Anerkennung bekommen“, erklärt Mundlos. „Da wird ihnen eine Expertenrolle zugestanden.“

Sara Scharnhorst sieht das eher pragmatisch. „Tom macht schon vieles anders als ich. Da muss ich mich eben dran gewöhnen.“ Tom Scharnhorst freut sich bereits auf die Elternzeit. Er macht sich aber auch Sorgen, dass er dem, was seine Frau geleistet hat, nicht gerecht werden kann „Und es ist bestimmt komisch, auf dem Spielplatz zu fremden Müttern zu gehen und zu sagen: ‚Hey, lass uns morgen mal ’nen Kaffee trinken‘, ohne dass das als Anmache rüberkommt.“ Sara Scharnhorst kann darüber nur lachen. „Da macht er sich zu viel Panik“, sagt sie. „Ich traue ihm das alles zu – auch mit den Müttern, die sind alle total nett.“

*Namen geändert

Illustration: Lotte Düx

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