„Frauen gründen anders“

Zehn Jahre lang war Andrea Blome Herausgeberin und Chefredakteurin der „existenzielle“, Deutschlands bislang einziger Zeitschrift für Unternehmerinnen. Gerechnet hat sich das nie, das Heft wurde eingestellt. Ein Interview über die deutsche Gründungskultur, und warum Frauen offener mit ihrem Scheitern umgehen als Männer.

Die klassische Einstiegsfrage in Interviews mit Unternehmerinnen ist oft: „Wie bringen Sie Kinder und Karriere unter einen Hut?“ War diese Frage bei Ihnen tabu?

Ja!

Das haben Sie wirklich nie gefragt?

Wir haben das nie in den Vordergrund gerückt, wenn es für die Frau selbst nicht wichtig war. Viele Frauen gründen, weil sie als Selbstständige Kinder und Beruf besser vereinbaren können. Ich habe das selbst erlebt: Als ich mit meinem Magazin gestartet bin, war mein Sohn ein Jahr alt, meine Tochter kam ein Jahr später zur Welt. Das war anstrengend, hat aber sehr gut funktioniert.

Warum haben Sie ein Magazin über Frauen in der Wirtschaft gemacht?

Als ich mit dem Magazin im Jahr 2000 startete, berichteten Wirtschaftsmagazine kaum über Frauen. Wenn, dann nur über ein paar Lichtgestalten oder hinten in der Rubrik „Privat“. In den Frauenmagazinen gab es dagegen das Thema Wirtschaft nicht. Es ging zwar um Dinge wie Beruf und Vereinbarkeit, aber kaum um Selbstständigkeit. Ich hatte den Eindruck: Das ist eine Nische in der Berichterstattung, und es gibt einen Markt dafür.

Gibt es so etwas wie einen weiblichen Blick auf Wirtschaft und Unternehmensführung?

Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass Frauen anders gründen, weil sie oft strukturell andere Bedingungen haben. Sie haben in der Regel weniger Kapital zur Verfügung. Es gibt viel weniger junge Frauen, die direkt aus der Hochschule heraus oder im Technologiesektor gründen. Ich könnte nicht sagen, Frauen führen Unternehmen „weiblicher“. Führungsstil ist oft auch eine Generationenfrage. Junge Männer und Frauen denken da ähnlich: Sie wollen mitarbeiter- und teamorientiert führen.

Warum sollte man eigentlich ein Magazin über Frauen machen, wenn es gar nicht so viele geschlechterbezogene Unterschiede gibt?

Das Ziel der „existenzielle“ war nie, einen qualitativen Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Wirtschaft festzumachen. Wir wollten nicht behaupten, dass Frauen das besser können oder ihre Unternehmen verständnisvoller und kommunikationsorientierter führen. Wir wollten einfach zeigen, dass sie es tun. Und dass sie das können: spannende Sachen machen, gute Ideen haben. Vorbilder zu liefern und Frauen Mut zu machen, das war für mich ein wichtiger Auftrag.

Romantisiert man damit nicht die Wirklichkeit?

Nein, wir haben auch Hefte gemacht über das Scheitern. Das ist ein großes Tabu-Thema in unserer Gesellschaft. Es ist schwierig, Interviewpartnerinnen in einem unternehmerischen Feld zu finden, die bereit sind, über Krisen zu reden, erst recht, wenn sie mittendrin stecken. Man will den Kunden ja nicht erzählen, ich hab’s nicht im Griff. Trotzdem haben wir Frauen gefunden, die bereit waren, darüber zu sprechen. Das alleine macht schon Mut.

Hat es etwas mit der Erziehung zu tun, dass Frauen eher bereit sind, übers Scheitern zu reden, und Männer verschlossener sind?

Ja, ich denke schon. Männer erzählen von ihren Projekten dann, wenn sie wie ein Phönix aus der Asche auferstanden sind. Sie haben ein größeres Interesse, sich als erfolgreiche Macher zu inszenieren. Ich denke da zum Beispiel an Titus Dittmann, der mit seiner Skateboardfirma total abgestürzt ist und heute wieder auf vielen Kanälen präsent ist.

Sie haben die Reihe dieser Geschichten um Ihre eigene erweitert: Die „existenzielle“ mussten Sie 2015 einstellen. Wie kam’s dazu?

Mit dem Magazin habe ich nie Geld verdient – ich habe immer parallel in meinem Redaktionsbüro gearbeitet. 2009 war klar: Die „existenzielle“ wird zum Geldgrab, ich muss die Notbremse ziehen. Ich habe dann auf kleiner Flamme online weitergemacht. Als im September 2015 dann die Kredite abbezahlt waren, hatte ich keine Lust mehr.

Was genau ist schiefgelaufen?

Es war schwierig, herauszufinden, was passiert ist. Um mit dem Scheitern umzugehen, muss man wissen, was man hätte anders machen sollen. Freundinnen sagten zwar: Such’ nicht nach Fehlern, du hast alles gegeben. Da sind der Markt, die blöden Anzeigenkunden, die doofen Leserinnen, die nicht verstehen, dass du ihnen etwas Gutes geben willst. Im Rückblick weiß ich: Die „existenzielle“ war ein unterfinanziertes Projekt mit einer Zielgruppe, die vor allem im Anzeigenmarketing schwierig war. Ich war in dieser kleinen Struktur Redakteurin, Herausgeberin und Marketingleiterin und überfordert. Wir haben noch versucht, die Marke zu verkaufen, aber in der Verlagskrise 2008, 2009 wollte sich keiner ein kleines, unklares Format ans Bein binden.

Und wie sind Sie mit dem Scheitern umgegangen?

Offen. Das hat mir geholfen. Als wir das Magazin einstellten, habe ich einen Teil der Geschichte auf einem Blog erzählt. Zum Beispiel, was für eine Belastung es war, sich immer wieder Geld leihen zu müssen. Es war sehr schön, dann noch einmal viel positives Feedback zu bekommen. Aber irgendwie war es auch eine Erleichterung, das Projekt abzuschließen.

Und jetzt wollen Sie nichts mehr wagen?

Ich bin weiter selbstständig. Es gibt für mich viele andere Möglichkeiten, das Thema weiterzuverfolgen. Aber ich will Unternehmerinnen nicht mehr so dringend wie vor fünfzehn Jahren in die Öffentlichkeit bringen. Sie werden in den Medien mittlerweile oft in differenzierter Weise thematisiert.

Zurück zum Grundsätzlichen: Wie reagieren Menschen auf das Scheitern?

Oft haben es hinterher alle gleich gewusst. Das hat auch etwas mit der Gründungskultur in unserem Land zu tun und der Missgunst von vielen Seiten. Das kennen viele Gründe rinnen. Wenn in meiner Straße ein neues Geschäft aufmacht, ein Kreativcafé oder ein Nagelstudio, ertappe ich mich auch bei dem Gedanken: Wie lange die das wohl macht?

Sind Frauen untereinander besonders missgünstig?

Nein, aber ich glaube, dass Frauen Missgunst häufiger entgegenschlägt – weil sie häufiger kleine „Liebhabergeschichten“ gründen. Kleine und Kleinstgründungen werden immer noch unterschätzt. Frauen gründen mit Begeisterung für ihre Idee. Sie machen etwas, bei dem sie werteorientiert dahinterstehen. Das ist typisch für die weibliche Gründungslandschaft und trifft auf mich auch zu. Mit der „existenzielle“ wollte ich zeigen: Diese Frauen sind Teil der Wirtschaft. Sie schaffen Arbeitsplätze, und wenn es nur ihr eigener ist.

Was für Anreize muss die Politik denn setzen, um Frauen in kleinen Gründungen zu unterstützen?

Sie muss vor allem das Thema soziale Sicherung in den Blick nehmen. Viele Freiberuflerinnen arbeiten in prekären Selbstständigkeiten. Wenn ich Selbstständigkeit und abhängige Beschäftigung als gleichwertige Erwerbstätigkeiten betrachte, dann hat die Gesellschaft eine Verantwortung für beide. Das würde zum Beispiel bedeuten, das Modell der Künstlersozialkasse für alle schlecht honorierten Freiberufler und Freiberuflerinnen zu öffnen. Wer eine Wirtschaftspolitik betreibt, in der Unternehmen vom Outsourcing an Freiberufler profitieren, darf die Freiberufler in ihrer sozialen Sicherung nicht allein lassen. Hier sollten die Auftraggeber wie bei der KSK ihren Teil leisten. Das Bild, wer selbstständig ist, kann sich grundsätzlich viel leisten, entspricht nicht der Wirklichkeit. Als ich hochverschuldet war und nicht wusste, ob ich Privatinsolvenz anmelden muss, wurde mir bei der Schuldnerberatung der Stadt gesagt: „Nee, wir sind für Sie nicht zuständig. Als Selbstständige können Sie dafür doch privat einen Anwalt nehmen.“ Absurd!

Foto: jarmoluk (CCO 1.0) via pixabay

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Elsbeth Föger
54. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Twittert unter @ElsbethFoeger.

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