Heldin der Arbeit

Sind Frauen im Osten fleißiger als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westen? Fakt ist: Sie arbeiten sechs Stunden länger pro Woche. Das sozialistische Frauenbild scheint bis heute nachzuwirken.

Deutschland war in den Fünfzigerjahren nicht nur politisch, sondern auch kulturell gespalten. Das sieht man an den Frauenbildern. Im Westen, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, sollte die Frau vor allem treu sorgende Gattin und fürsorgliche Mutti sein. Ein Frauenbild wie in der heilen Welt des Biedermeier. Die Mutter stand ausschließlich im Dienste ihrer Familie und ihres Mannes, des Patriarchen.

In der DDR hingegen zeichnete die SED ein ganz anderes Bild das der sozialistischen Frau. Auf Propagandaplakaten der Partei wurden Frauen als selbstbewusste Arbeiterinnen dargestellt. Mit Arbeitskittel bekleidet, Blumen in der einen Hand, einen Schraubenschlüssel in der anderen. Denn sozialistische Frauen sollten alles können zur Entwicklung der Wirtschaft beitragen und gleichzeitig den Haushalt führen.

Im Westen Heimchen und im Osten Arbeiterbienchen diesem Klischee entsprechen Frauen im Osten und Westen heute nicht mehr. Die Beschäftigungsquoten unterscheiden sich laut DIW bei Frauen in Ost- und Westdeutschland kaum noch. In den alten Bundesländern sind 67,5 Prozent der Frauen erwerbstätig, in den neuen Bundesländern 69,1 Prozent.

Deutliche Unterschiede gibt es aber beim Arbeitsumfang: Frauen im Osten arbeiten mit durchschnittlich 27,8 Wochenstunden etwa sechs Stunden mehr als Frauen im Westen (21,7 Stunden). Das liegt vor allem daran, dass Mütter in Ostdeutschland deutlich häufiger in Vollzeit arbeiten als Mütter in Westdeutschland. Während im Osten mehr als die Hälfte der Mütter in Vollzeit arbeiten (55 Prozent), sind es im Westen nur ein Viertel (25,2 Prozent).

Das Leitbild der sozialistischen, erwerbstätigen Frau

Der Grund: das immer noch nachwirkende DDR-Erbe. Die Erwerbstätigkeit war ein ganz wesentlicher Bestandteil des Leitbilds der guten sozialistischen Frau“, erklärt Paula-Irene Villa, Professorin für Soziologie an der Ludwig- Maximilians-Universität in München. Dazu gehört auch, dass Frauen in der DDR ermutigt wurden, in untypischen“ Berufen wie auf dem Bau tätig zu sein. Dass Frauen arbeiten und zum Haushaltseinkommen beitragen, war außerdem eine „ökonomische Notwendigkeit“, so Villa.

Zudem war es sozial akzeptierter, Kinder betreuen zu lassen: Staatliche Betreuungseinrichtungen zum Beispiel waren gewissermaßen Teil der Familie. Ebenso, was sehr problematisch war, staatliche Organisationen wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ).“ Die FDJ sollte junge Menschen zu klassenbewussten Sozialisten erziehen.

Im Westen hingegen wurde eine erwerbstätige Mutter als Rabenmutter angesehen. Villa zufolge glaubten die Menschen dort: „Mütter arbeiten nur aus Not oder aus falschen, eigensüchtigen Karriereabsichten.“

Immer mehr Frauen in Ost und West in Teilzeitarbeit

Allerdings arbeiten sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands immer mehr Frauen in Teilzeit. Das hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsverteilung der Familien, erklärt Elke Holst, Ökonomin und Verfasserin der DIW- Studie. Das modernisierte Ernährermodell, also Vater in Vollzeitarbeit und Mutter in Teilzeitarbeit, hat in beiden Teilen Deutschlands an Gewicht hinzugewonnen.“ Im Osten geht das auf Kosten des Egalitätsmodells“, bei dem beide Partner Vollzeit arbeiten. Im Westen auf Kosten des Alleinernährermodells, bei dem ein Partner die Brötchen verdient meist der Vater.

Dass auch Frauen im Osten immer mehr Teilzeitjobs annehmen, hängt laut Holst auch mit Steuern und Abgaben zusammen. Beim Ehegattensplitting wird der Partner mit weniger Einkommen der schlechteren Steuerklasse 5 zugeordnet. Die Abzüge für diese Steuerklasse seien so unverhältnismäßig hoch, dass viele Frauen sich für einen Minijob oder eine Teilzeitarbeit entscheiden.

Auch junge Paare fallen häufig in alte Rollenmuster zurück

Dabei wollen viele Mütter in Teilzeitarbeit laut DIW-Studie mehr Stunden pro Woche arbeiten. Im Osten wünschen sie sich etwa sieben Stunden mehr Arbeitszeit als im Westen. Hier wirkt das Leitbild der Vollzeit arbeitenden Frau immer noch nach. Und das, obwohl sich die Möglichkeiten der Kinderbetreuung im Osten stark verringert haben. Männer dagegen arbeiten häufig länger als 40 Wochenstunden. Die meisten würden gerne weniger arbeiten.

Dann also einfach die Arbeitszeit für Männer reduzieren und für Frauen erhöhen? In der Realität funktioniert das nur selten. Selbst junge Paare, die häufiger als ihre Eltern im Beruf und in der Kinderbeziehung gleichberechtigt sein wollen, fallen nach der Geburt des ersten Kindes in alte Rollenmuster zurück. „Retraditionalisierung“ nennt das die Soziologin Villa.

Die Ökonomin Holst fordert deshalb, Familien zuzugestehen, ihre Stundenzahl am Arbeitsplatz je nach Lebensphase flexibel zu handhaben. Es muss für Eltern möglich sein, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wenn der Nachwuchs noch klein ist. Danach oder davor können Eltern mehr arbeiten oder auch voll erwerbstätig sein.

Bild: Pixabay (CC0 1.0)

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Minh Thu Tran
Aufgewachsen in einer schwäbischen Kleinstadt. Wollte von dort so schnell wie möglich weg und ist deshalb nach München gezogen. Versucht sich als Journalistin, u.A. bei http://siekommen.org. Zwitschert als @tran_vominhthu.

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