Stillende Reserve

Nach der Elternpause möchten viele Frauen in ihren Beruf zurück. Programme wie power_m in München unterstützen sie dabei. Viele Rückkehrerinnen bräuchten eigentlich juristischen Beistand – aber wer klagt schon gerne seinen Arbeitsplatz ein?

Astrid Neumann hat den Wiedereinstieg in den Beruf geschafft. Die Mutter von zwei Kindern lächelt und blickt zurück: „Ich wollte nicht länger auf das Muttersein reduziert werden.“ Seit einem Jahr arbeitet die 42-Jährige wieder 30 Stunden pro Woche als Marketing-Managerin in einer mittelständischen Firma. Ihr Arbeitsleben war durch die Geburt der Töchter, heute sechs und neun Jahre alt, immer wieder unterbrochen. Nach der Geburt der ersten Tochter kehrte sie nach neun Monaten in den Job zurück, dann kam die zweite Tochter und mit ihr eine längere Auszeit von vier Jahren.

„Ich wollte nicht länger auf das Muttersein reduziert werden“

Astrid Neumann arbeitete freiberuflich als Marketing-Managerin von zu Hause aus. Im Beamtendeutsch gehörte sie zur „Stillen Reserve“. Eine Gruppe, die weder arbeitssuchend noch arbeitslos gemeldet ist. Ruhig war es bei Neumann zu Hause trotzdem nicht, zwei kleine Kinder sind ein Vollzeitjob. Aber eben keiner in einer Firma. Neumann wollte ins Berufsleben zurück. Sie wollte ein Leben neben den Kindern führen und trotzdem für sie da sein, sagt sie. Ein Wunsch nach Bestätigung, nach mehr als Spielplatz und Kinderwagen: „Die Welt wurde kleiner. Es gab nur noch ein Thema.“ Hinzu kam der Wunsch nach einer intellektuellen Herausforderung und nach mehr Unabhängigkeit.
Heute arbeitet Astrid Neumann je sechs Stunden an fünf Tagen die Woche – so ist sie flexibel und kann sich mit ihrem Mann abstimmen, der inzwischen selbstständig ist. Neumann, ausgebildete Überset
zerin und Diplom-Betriebswir
tin, steht stellvertretend für den
 schwierigen Spagat zwischen 
Kindern und Karriere. Auch sta
tistisch gesehen ist sie eine typi
sche Wiedereinsteigerin.

Kinder? – Nicht bei Xing oder LinkedIn

Die typische Berufsrück
kehrerin ist im Schnitt 43 Jahre 
alt, hat zwei Kinder und ist hoch-
qualifiziert. Nach acht Jahren 
Berufspause tastet sie sich langsam wieder an die Arbeitswelt
heran. Zunächst bewarb sich
 Neumann hier und da, bekam
aber keine Einladung zu einem 
Vorstellungsgespräch. „Unterschwellig“ habe sie gespürt, dass die Kinder damit etwas zu tun haben könnten. Auf LinkedIn und Xing verschwieg sie ihre Töchter und umschrieb die Baby-Pause mit „freiberuflicher Tätigkeit“. „Sonst wäre das ein K.o.-Kriterium im Pitch“, sagt sie.
Gedankengänge, die Martina Helbing von der Frauenakademie kennt. Die Akademie ist Teil der Initiative „power_m“, ein von der Stadt München gefördertes Programm für den Wiedereinstieg, an dem auch Neumann nach den ersten gescheiterten Bewerbungen teilnahm. Seit 2009 wurden knapp 3400 Frauen von Helbing und Kollegen beraten. Zum Programm gehören Bewerbertraining, Aktualisierung von Lebensläufen, Computer-Schulungen und das Stärken des beruflichen Selbstwertgefühls bei Frauen, von denen manche länger als zehn Jahre zu Hause waren.
„Vielen fehlt das Selbstbewusstsein“, sagt Helbing. Das bestätigt auch Corinna Ruggera von der Münchener Arbeitsagentur: „Manche fühlen sich sozial abgewertet.“power_m gehört zur „Perspektive Wiedereinstieg“, ein von der Europäischen Union kofinanziertes Aktionsprogramm des Bundesfamilienministeriums und der Bundesagentur für Arbeit. Neben München gibt es Projekte in ganz Deutschland. Der Hauptgedanke ist es, Frauen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu lassen: „Es ist ein Skandal, dass so viel Geld aufgewendet wird, um Frauen zu qualifizieren und sie anschließend zu Hause alleine zu lassen“, sagt Helbing, die schon über 1000 Frauen beraten hat. Das Programm ist auch für Firmen in Ballungsräumen wichtig: Berufsrückkehrerinnen könnten helfen, den Fachkräftemangel dort abzufedern. Die zunächst stillende, dann oft lange stille Reserve soll zurück auf den Arbeitsmarkt – und das möglichst schnell.
Was in der Theorie schlüssig klingt, ist in der Praxis nicht ganz so einfach. Das Anforderungsprofil von Müttern wie Astrid Neumann unterscheidet sich stark von Frauen ohne Kinder. Der Wiedereinstieg hängt von vielem ab: von Erreichbarkeit und Entfernung des Arbeitsplatzes, der Kinderbetreuung und natürlich dem Job selbst. Am wichtigsten ist aber für alle interviewten Frauen die Wochenarbeitszeit.

Nur wenige Frauen arbeiten nach der Schwangerschaft Vollzeit

Volle 40 Stunden schaffen nur die Wenigsten. Auch für Astrid Neumann kam nur eine Beschäftigung von 25 bis 30 Wochenarbeitsstunden infrage. Durch das feste Einkommen des Ehemanns und ihre freiberufliche Tätigkeit war sie abgesichert und konnte sich auf die Bewerbungen konzentrieren. Auch die Kinderbetreuung war bei Neumanns kein Problem. Astrid Neumann hatte Glück und fand die passende Stelle mit günstigen Arbeitszeiten. Sie ist so präsent und ansprechbar – wichtig für viele Arbeitgeber – und dennoch flexibel genug, um die Kinder von der Schule abzuholen.
Der Wiedereinstieg in den Job kann aber auch anders laufen. Die heute alleinerziehende Mutter Maria Ciccotti arbeitete früher als Stewardess, war viel unterwegs. Nach der ersten Tochter war sie drei Jahre in Elternzeit und kehrte anschließend in Teilzeit in den alten Job zurück. Nach der Geburt der zweiten Tochter arbeitete sie nach der Elternzeit noch kurz halbtags, bis es ihr zu viel wurde. Sie bekam einen Auflösungsvertrag und eine Abfindung, die ohne eigenes Einkommen und das eines Partners schnell verbraucht war. Ciccotti blieb der Gang zum Jobcenter. Wegen eines ungeklärten Erbfalls bekam sie zunächst keine Unterstützung. Ein halbes Jahr half die Familie finanziell aus. „Irgendwann dachte ich, jetzt lande ich auf der Straße.“ Immerhin bekam sie nach langem Hin und Her doch Hartz IV. Ciccotti beschreibt das Dilemma, das viele Mütter empfinden: „Ich brauchte einen Job, konnte aber nicht wegen der Kinder.“

In Einzelfällen kann es zu sozialen Härten kommen

Seit knapp einem Jahr sucht sie schon nach einem Job, hat, wie sie schätzt, 100 Bewerbungen verschickt – vergeblich. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen mit einem zusätzlichen Einkommen des Partners muss sie arbeiten gehen, um über die Runden zu kommen. Wegen der Kinder kann sie aber nur in Teilzeit arbeiten. Eine Beraterin fragte, warum sich die 17-jährige Tochter keinen Nebenjob suche, um zum Haushaltseinkommen beizutragen. Wie das mit den Vorbereitungen auf das G8-Abitur inklusive Nachmittagsunterricht funktionieren solle, fragte Ciccotti zurück. Die persönlichen Umstände sind kein Regelfall, aber auch kein Einzelfall. Was schiefläuft: „Die Arbeitgeber sind einfach zu starr in Deutschland“, findet die alleinerziehende Mutter.

Trotz gesetzlichem Anspruch verwehren viele Arbeitgeber den alten Arbeitsplatz

Die Rechtsanwältin Anna Bauer kann das bestätigen. Sie hat allein im ersten Halbjahr 2016 bereits acht Frauen juristisch beraten und vor Gericht vertreten, die nach der Elternzeit nicht mehr an die alte Stelle zurückkehren durften, obwohl sie laut Gesetz Anspruch darauf haben. Dennoch blockieren viele Arbeitgeber die Teilzeit-Rückkehr. Trotz gesetzlicher Verankerung lehnen viele Firmen diese aus „betrieblichen Gründen“ ab. „Danach kann ich nur noch klagen“, sagt Bauer. Rechtlich sei der Anspruch stark und im Normalfall auch geltend zu machen. Doch viele Frauen wollen sich nicht zurückklagen. „Wer klagt schon gerne seinen Job ein?“ Oft enden solche Fälle mit einer Abfindung, die Stelle ist dann aber weg. Unhaltbar für Bauer: „Frauen werden dadurch benachteiligt“, sagt die Rechtsanwältin. Viele Frauen geraten so in die Defensive. Häufig bleibt dann erst einmal nur der Minijob. „Das ist der Anfang vom Abstieg“, sagt Bauer.
Auch Beraterin Helbing warnt vor Minijobs, weil keine Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt werden: „Altersarmut ist deshalb weiblich“, sagt sie. Das größte Problem liegt für sie aber im Steuerrecht. Durch ungünstige Steuerklassen muss eine Frau in Teilzeit, deren Partner Vollzeit arbeitet, über 50 Prozent vom Bruttoeinkommen an Steuern bezahlen. „Das lohnt sich aber oft nicht mehr für die Frauen.“ Die machen dann lieber einen Minijob. Der Kreis schließt sich.
„Viel Potenzial verrottet durch starre Denkweisen“, sagt auch Astrid Neumann. Aber nicht nur deswegen ist ihr der Wiedereinstieg so wichtig. Sie will auch ein Vorbild für ihre Töchter sein: „Ich kann den Mädchen vorleben, dass Arbeit Spaß macht.“

Illustration: Lotte Düx

Hier gibt es das ganze Buch: „Because it’s 2016“ – Ein Projekt der Vodafone Stiftung in Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule.

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