Zieh in welches Feld du willst, aber nicht in meines!

Fußball mal anders: 1860 München gegen Braunschweig in der Allianz-Arena. Ein Spielbericht.

In Erinnerung an Julius Stettenheim (1831-1916), Satiriker

Es ist ein Krieg entbrannt, dessen Länge, in die er sich erstrecken kann, nicht abzusehen ist. Alles deutet darauf hin, dass entweder München oder Braunschweig siegreich vom Felde ziehen werden. Die Männer marschieren auf, die Meute johlt.

Wirklich werden die Truppen beider Seiten derart mit Pfeifen und Gebrüll empfangen, dass die Zähne klappern – und der Donner der Trommeln ist schrecklich. Bumm! Bumm! Bumm! Aber viel lauter! Gleich zu Anfang stürmen die Männer aufeinander zu, Farben und Feldzeichen drängen durcheinander. Münchener wie Braunschweiger preschen voran, feuern und stürzen, rutschen und prallen, aber ihre Angriffe bringen keine Punkte. Zwar fallen die Schüsse wie die Fliegen. Doch jeder Stürmer, der als Tiger springt, landet als Bettvorleger.

Eine Weile lassen die Braunschweiger sich treiben: Sie erwidern das Feuer der Münchener nicht. Sehr unhöflich. Feuer muss erwidert werden! Ein Angriffssturm der Münchener überrascht die Braunschweiger dann so vollkommen, dass sie völlig die Fassung verlieren und sich erst besinnen, als es fast zu spät ist. Schließlich, die Hälfte der Schlacht ist fast vorbei, kommen sie zu sich, flexibel wie in Harz gegossen. Lange wogt das Gefecht. Aber die einen wollen nicht so recht, die anderen können nicht so gut: Nach der Hälfte der Zeit ziehen die Truppen unverrichteter Dinge vom Platz, um nach einer kleinen Unterbrechung zurückzukehren – mit vertauschten Stellungen.

Nach einem gefährlichgemeinen Sturm der Münchener ist die Erregung gegen die Braunschweiger eine ganz maßlose geworden. Doch ist und bleibt es interessant, wie zärtlich die Münchener jeden Braunschweiger, den sie aufreiben können, behandeln. Sie treten, rempeln und schubsen. Dann werden sie rührend: Sie helfen auf, reiben den Kopf, trösten. Man ist nicht nachtragend in der Schlacht. Das Gras, auf dem man hier läuft, und in das viele beißen müssen, wächst rasch über alles.

Immer wieder preschen die Männer aus München vor, fest entschlossen, von ihrer Kraft Gebrauch zu machen, sollte dies nötig werden. Zum Glück für die Verteidigung der Braunschweiger, gibt es keine. Aber Punkte eben auch nicht. Die Münchener sollten sich zusammennehmen: Nichtsahnende Feinde überrascht man nicht – das ist geradezu ein Missbrauch des Vertrauens.

Als Zeuge des Gemetzels, kommt man nicht umhin sich zu wünschen, dass die Truppen nur endlich voreinander kapitulieren mögen. Aber sie tun nichts dergleichen. Sie geben nicht auf, sondern alles; sie schießen und köpfen, dass das Feld bebt. Eine Schlacht will gewonnen, Opfer gebracht werden: Die Geschichte wird die Frage nicht stellen, ob es das wert war. Männer humpeln vom Platz, andere kämpfen weiter: Was man nicht erfliegen kann, muss man eben erhinken.

Die Hymnen der Fahnenschwinger schallen unverständlich von allen Seiten. Man kann sich herbeidenken, sie würden mit Robert Gernhardt preisen:

Dich will ich loben, Häßliches,
Du hast so was verläßliches.

Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,
fast tut es weh, wenn man es sieht.

Wer Schönes anschaut spürt die Zeit,
und Zeit sagt stets: Gleich ist’s so weit.

Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer,
die Häßlichkeit erfreut durch Dauer.

Denn weder ist die Schlacht ästhetisch, noch verläuft sie erfolgreich für irgendeine Seite. Das Schreckgespenst der eigenen Überflüssigkeit, der eigene Horror Vacui macht sich breit. Aber die Leidenschaft flammt ungehindert. Und solange keine Truppe der anderen einen Vorsprung abringt, ist Eile nicht geboten: Wer nichts braucht, braucht schließlich nichts zu tun.

Den größten Fehler, welchen man als Armee machen kann, ist das Unterschätzen des Gegners. Die Braunschweiger haben diesen Fehler nicht ungemacht gelassen: Die Münchener spielen mit dem Feuer, bis es unter ihren Nägeln brennt, die Braunschweiger kommen nicht durch, denn sie sind zu sehr Mensch, zu wenig Salamander. Dann, endlich: Es ist soweit! Der Eifer der Münchener züngelt gegen den fallenden Schnee und ein Schuss findet sein Ziel: Ein Volltreffer in die Braunschweiger Basis. Es wird gejohlt, gejubelt und geklatscht. Dann stürzen sie weiter. Kurz begehren die Braunschweiger noch auf, versuchen sich zu retten, doch es ist vorbei: Das Pulver wurde verschossen, die Münchener haben gesiegt. Zuletzt ist die Schlacht zu Ende geschlagen und das Feld leert sich. Auch die Trommeln verstummen: Ein letztes Bumm! Bumm!, dann gehen alle nach Hause.

Foto: Karl Jauslin (CCo)

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