Gehen 100 Journalisten auf Klassenfahrt

Mein Kopf explodiert. Nein, ganz ehrlich, er explodiert. Ich schwörs. Jetzt gleich. Dann ist die Wand eingesaut und die olle Hostelhochbettmatratze auch, die weiße Bettwäsche mit Blut und Innereien vollgeschmiert, richtig eklig wird das. Zum Glück reisen wir nachher ab.

Aber witzig wars, letzte Nacht. Mit Einheimischen in eine Bar gegangen, in der die Getränke billig, die Tische voll und das Rauchen erlaubt war. Danach zu einem illegalen Rave im Keller einer alten Fabrik, irgendwo im Westen. Nächtliches Fahrradfahren am Ufer entlang. Verrückt, diese Leipziger. Ich wälze mich im Hochbett. Die Zimmergenossinnen stehen gerade auf, machen sich fertig für den letzten Tag Bildkorrekturen, sie wuseln herum, packen zusammen, ziehen sich an. Es riecht angenehm nach Hautcreme.

In der Bar haben wir noch angeregt über Gender, Feminismus und Ganzkörper-Waxing diskutiert. Voll intellektuell. Viel gelernt, dieses Wochenende. Dass anderes verstehen, Frauen sich anders verhalten als Männer (Weicher! Entscheidungen nicht bei Schnaps und Zigarren treffend! Sich von den Herren vor Verhandlungen ins Bett schicken lassend!) und dass es wahrscheinlich schwierig ist lesbische, dunkelhäutige Transen in Entwicklungsländern zu finden.

Stempel vom Rave. Foto: Sophie Krause
Foto: Sophie Krause

Ich liege also im Hostelhochbett und sinniere über die vergangenen 48 Stunden. Wahrscheinlich haben wir uns alle von den „Bildkorrekturen“ etwas anderes erwartet: „Fotoshop?“, war zum Beispiel eine Assoziationen. Vor Ort haben wir kontrovers über die den Vorträgen vorausgehende binäre Kategorisierung von Geschlecht diskutiert.

Eigentlich hätte die Tagung auch „Diagnose: Frau“ heißen können. Es ging um die Benachteiligung von Frauen, um starke Frauen, um Chancen. Erstaunlicherweise kamen nur wenige Männer zu Wort. Dafür viele kluge Renderinnen und ein sehr aufmerksames Publikum. Unter all den intellektuellen Menschen habe ich mich etwas dumm gefühlt. Hoffentlich haben die das nicht gemerkt.

Bei einigen Seminaren, ganz modern „Panels“ genannt, ging es heftig zur Sache. Voll kritische Fragen gestellt, diese Journalisten. Auch nach dem Kneipenabend. Nicht jeder Podiumsgast war allen genehm, was aber nicht schadete, da sich dadurch angeregte Diskussionen entfachten. Zugegeben: Die Tage waren anstrengend. Aber sehr kommunikativ. Was halt passiert, wenn 100 Journalisten drei Tage lang aufeinander losgelassen werden. Landschulheimatmosphäre.

Soll ich noch was zu Leipzig sagen? Coole Stadt. Hypezig, oder so. Wird bestimmt alles mal weggentrifiziert. Leipzig ist wie Kuba: Sollte man besser heute noch besuchen, bevor sich alles radikal verändert. Architektonisch fand ich die Stadt sehr beeindruckend. Nazibau stößt auf Stasibau stößt auf 2000er-Klotz, alles an einem Platz. An manchen Ecken wirkt das Stadtbild noch unfertig, improvisiert und etwas schmutzig. Das fand ich schön. Habe mich fast wie zuhause gefühlt. Und richtig feiern können sie, die Leipziger.

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