Pressefreiheit in Vietnam: „Ohne das Internet wären wir machtlos“

Einer der bekanntesten vietnamesischen Blogger heißt Bui Thanh Hieu (44). Unter dem Namen „Windhändler“ („Người Buôn Gió“) schreibt er seit 2005 über Politik – und wurde dafür mehrfach verhaftet. Inzwischen lebt er in Berlin. Ein Interview über Pressefreiheit.

Herr Bui, Sie bloggen aus dem Exil. Worüber?

Ich schreibe über politische Vorgänge in Vietnam, also Korruption und Tyrannei, aber auch über Polizeigewalt und Umweltprobleme. In meinen letzten Texten ging es um das massenhafte Fischsterben vor den Provinzen Ha Tinh und Hue. Ich vermute, dass sie durch Chemieabfälle des ansässigen Stahlwerks Formosa vergiftet wurden. Doch die Regierung hat fast nichts getan, um den Fall aufzuklären.

Wie kommen Sie auf solche Themen?

Früher habe ich im Internet von Ausschreitungen gelesen und bin hingefahren, um mir selbst ein Bild zu machen. Als ich bekannter wurde, kamen die Leute auf mich zu. Sie riefen mich an, wenn zum Beispiel Festnahmen angekündigt waren und baten mich, darüber zu berichten.

Woher wissen Sie, dass die Leute Sie nicht anlügen?

Warum anlügen? Ich habe sogar gefilmt, wie Polizisten auf Journalisten eingeschlagen haben. Sie hatten Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Oft bin ich schon vor der Polizei zu den Leuten gefahren, um den ganzen Einsatz mitzubekommen.

Das klingt professionell. Sind Sie ausgebildeter Journalist?

Nein, ich habe nur einen allgemeinen Schulabschluss und mich danach als normaler Arbeiter durchgeschlagen. Ich habe gemerkt, dass die Leute viel zu sagen hatten, aber nicht konnten. Die Journalisten haben sich auch nicht für sie eingesetzt, weil die vietnamesische Presse dem Regime untersteht. Es gibt eine strenge Zensur durch das Propagandaministerium. Also habe ich es getan.

Wie viele Leser haben Sie?

Ich habe einen Blog, ansonsten nutze ich Facebook. Dort folgen mir über 50.000 Leute. Den Klickzahlen nach habe ich aber mehr regelmäßige Leser. Sie trauen sich jedoch nicht, meine Seite öffentlich zu liken und sich damit verdächtig zu machen. Das Regime hasst die Direktheit, mit der wir Blogger über viele Themen schreiben. Daher bleibt uns nur das Internet. Ohne das Internet wären wir machtlos.

Ist es schwieriger, von Deutschland aus zu arbeiten? 

Nein gar nicht. Ich bekomme ein großzügiges Autorenstipendium von der PEN Stiftung. Auch meine Frau und mein zehnjähriger Sohn leben bei mir. So kann ich mich ganz aufs Schreiben konzentrieren. Ich habe hier schon drei Romane geschrieben, zwei wurden ins Englische übersetzt.

Wie kam es, dass Sie nun ausgerechnet in Deutschland sind?

Ich wurde 2010 eingeladen, einige meiner Texte in Deutschland vorzulesen. Nach meiner Rückkehr wurde ich mehrmals verhaftet, für je zehn oder fünfzehn Tage. Daraufhin bot mir die PEN-Stiftung das Writers-in-Exile Stipendium an. Seit 2013 lebe ich in Berlin.

Möchten Sie zurück nach Vietnam?

Natürlich will ich nach Hause, aber dort müsste ich wieder ins Gefängnis. Dass ich gerade nicht im Gefängnis bin, habe ich nur dem Stipendium zu verdanken.

Warum beantragen Sie hier kein Asyl?

Das will ich nicht, dann könnte ich wahrscheinlich nie wieder zurück. Meine Mutter und meine Geschwister leben noch dort.

Leidet Ihre Familie in Vietnam unter Ihrer Arbeit?

Meine Familie wird ständig von der Polizei aufgesucht und dafür beschimpft, dass sie mich nicht besser erzogen oder belehrt haben. Sie beschuldigen meine Familie dafür, dass ich angeblich reaktionär geworden bin und die Regierung umstürzen will.

Sie könnten aufhören zu bloggen und Ihrer Familie eine Menge Leid ersparen.

Ich glaube, dass diese Arbeit getan werden muss – wenn nicht jetzt, dann im nächsten Leben. Würde ich nicht bloggen, würden die Probleme vielleicht noch größer werden. Das Schöne ist, dass mich meine Familie unterstützt. Meine Mutter war 83, als die Polizei mich verhaftete. Zu den Polizisten sagte sie: „Meinen Sohn trifft keine Schuld. Ich bin stolz auf das, was er getan hat.“

Mitarbeit: Minh Thu Tran

Foto: Privat

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Vanessa Vu
1991 im ländlichen Niederbayern geboren, im Internet aufgewachsen, danach rastlos in der Welt herumgeirrt, in drei Ländern studiert und sieben Sprachen gelernt. Jetzt also Journalismus. Twittert als @_vanessavu.

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