„Männer haben Angst, dass ihre Mittelmäßigkeit enttarnt wird“

Laurie Penny gehört zu den bekanntesten feministischen Aktivistinnen. Im Interview warnt sie vor einem Feminismus, der sich nur mit Karrierefrauen beschäftigt.

Laurie Penny, Sie sind Feministin, aber in Ihrem jüngsten Buch kritisieren Sie das Ideal der Karrierefrau. Warum?

Ich habe kein Problem mit Karrierefrauen, schließlich habe ich selbst Karriere gemacht. Aber ich glaube, dass es einen liberalen Feminismus gibt, der sich nur mit der Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen beschäftigt, die ohnehin schon ganz oben auf der sozialen Leiter stehen.

Warum ist das ein Problem?

Für mich ist das eine zu harmlose Form von Feminismus, die sich mit dem Kapitalismus verbündet hat. Dieser Feminismus diskutiert nur darüber, wie Frauen ihre Work-Life-Balance neu aushandeln können. Vieles bleibt dabei auf einer abstrakten Ebene. Strukturell ändert sich gar nichts. Dabei wäre gerade das nötig, um eine echte Geschlechtergerechtigkeit herzustellen.

Können Sie das mit einem Beispiel erklären?

Die Debatte über Sexarbeit wird zum Beispiel von Leuten geführt, die gar nicht in dem Bereich arbeiten. Sie interessieren sich eher für moralische als für praktische Fragen. Wenn man aber Sexarbeiterinnen zuhört, merkt man: Sie sind gar nicht an der Frage interessiert, ob Sexarbeit nun fantastisch ist oder die schlimmste Sache der Welt. Sie wollen einfach nur von der Polizei in Ruhe gelassen werden und dieselben Arbeiterrechte haben wie alle anderen. In dieser und vielen anderen feministischen Debatten ist es schädlich, die Sache aus moralischer und nicht aus wirtschaftlicher Sicht zu betrachten.

Seit wann sind Sie Antikapitalistin?

Ich habe mich anfangs nur mit Feminismus beschäftigt. Durch die Lektüre vieler feministischer Bücher aus den Siebzigern und Achtzigern wurde mir aber schnell klar, dass die Diskussion keinen Sinn macht, wenn man nicht auch über Ökonomie spricht.

In der Wirtschaft gibt es das „Trickle-down“-Prinzip, wonach der Wohlstand zuerst bei der Elite ankommt und später bei allen anderen. Ähnlich könnte man im Feminismus argumentieren: Zuerst müssen Frauen in die Vorstände, dann kommt der Rest von allein. Ergibt das für Sie Sinn?

Es wurde vielfach bewiesen, dass Wohlstand und Rechte nicht hinuntersickern. Die Superreichen werden noch reicher, während alle anderen mehr arbeiten für weniger Geld. So ist es auch mit dem Feminismus. Die Unterdrückung der Frauen im unteren sozioökonomischen Spektrum ist schlimmer geworden. Das betrifft ärmere Frauen, weniger gebildete Frauen und nicht-weiße Frauen. Die Leute geben die Unterdrückung nach unten weiter.

Was heißt das genau?

Für Kinderpflege oder Hausarbeit gibt es noch immer gar kein oder ganz wenig Geld. Es sind die Arbeiten, die Frauen traditionellerweise ohne Bezahlung machen. Mittlerweile machen aber Migrantinnen oder prekär beschäftigte Frauen diese Arbeit, damit die Karrierefrauen durchstarten können. Der Wohlstand sickert also nicht nach unten, er sickert nach oben.

Da wir von Wohlstand sprechen: Hollywood-Star Jennifer Lawrence hat sich beschwert, dass sie weniger verdient als ihre männlichen Kollegen. Stört Sie das?

Ich mache mir keine Sorgen um das Gehalt von Jennifer Lawrence, aber ich mache mir Sorgen um die Symbolik dahinter. Natürlich macht es etwas aus, wenn sie weniger verdient als ihre männlichen Kollegen. Wenn du in der Kulturbranche eine gewisse Prominenz erreicht hast, dann geht es nicht mehr nur um dich. Es geht darum, wie Frauen allgemein behandelt werden.

Sind Geschlechterquoten eine Lösung?

Ich bin absolut für Quoten. Wenn man für eine echte Leistungsgesellschaft ist und die besten Leute im Unternehmen haben will, dann sollte man sicherstellen, nicht nur mittelmäßige, weiße Typen einzustellen. Frauen sind ebenso fähig wie Männer. Und wenn man weniger Frauen als Männer beschäftigt, dann lässt man sich rein rechnerisch gesehen einen großen Pool an Talenten entgehen.

Kritiker behaupten: Vielen Frauen fehlt die richtige Qualifikation zum Aufstieg.

Klar, aber dann sollte man doch Frauen besser fördern und aktiv nach ihnen suchen. Mit einem Quotensystem gäbe es den Anreiz, Talente in Bewegung zu setzen, anstatt die Frauen in den Sackgassen zu lassen, in denen sie seit Ewigkeiten stecken.

Trotzdem wehren sich viele gegen solche Quoten. Warum?

Männer haben Angst, dass Frauen besser werden als sie. Es gibt tief verankerte Vorurteile gegenüber Frauen, und es gibt die Angst vor Wettbewerb. Ich glaube, Männer haben Recht mit ihrer Angst. Frauen haben gelernt, härter zu arbeiten, um das machen zu können, was sie machen. Und ich glaube, Männer haben Angst, dass ihre eigene Mittelmäßigkeit enttarnt wird.

Auch Frauen sprechen sich gegen Quoten aus. Andere wollen sich nicht als Feministinnen bezeichnen, obwohl sie selbst Frauen fördern – zum Beispiel Yahoo- Chefin Marissa Mayer.

Ich verstehe, dass Feminismus bedrohlich wirken kann. Frauen lernen, dass sie keine Männer bedrohen sollen, dass sie immer nett sein sollen. Manchmal glauben die Anti-Feministinnen sogar an feministische Ideale. Sie bezeichnen sich nur nicht als Feministinnen, weil das bedrohlich klingt oder missverstanden werden könnte. Aber das höchste Ziel im Feminismus ist es auch gar nicht, dass Leute sich öffentlich als Feministinnen bezeichnen.

Sie haben fünf Bücher und unzählige Artikel über Feminismus geschrieben. Warum macht Sie das Thema nicht müde?

Irgendwer muss ja über diese Dinge sprechen. Und wenn ich vermeintlich radikale Gedanken verbreite, werde ich dafür weniger kritisiert als andere – wohl auch, weil ich weiß und wortgewandt bin. Trotzdem, was auch immer ich sage, ich bekomme krasse Gegenreaktionen. Manchmal ist es sehr hart. Einmal bin ich für ein Jahr in die USA gegangen, ich brauchte Abstand.

Laurie Penny, 30, ist eine britische Buchautorin und Journalistin. Sie schreibt für den Guardian, die Times und weitere Zeitungen und Zeitschriften über Politik, Wirtschaft und Frauenrechte. Mit mehr als 150 000 Twitter-Followern und voll besetzten Vortragssälen wird Penny immer wieder als „Popstar des Feminismus“ bezeichnet. In ihrem letzten Buch, „Unsagbare Dinge“ (2015), geht es um die Verflechtungen zwischen Liebe, Sex und Kapitalismus. Penny hat in Oxford und Harvard Literatur studiert.

Foto: re:publica/Jan Zappner (CC BY 2.0) via Flickr

Hier gibt es das ganze Buch: „Because it’s 2016“ – Ein Projekt der Vodafone Stiftung in Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule.

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Vanessa Vu
1991 im ländlichen Niederbayern geboren, im Internet aufgewachsen, danach rastlos in der Welt herumgeirrt, in drei Ländern studiert und sieben Sprachen gelernt. Jetzt also Journalismus. Twittert als @_vanessavu.

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