„Wo der Spaß aufhört“: Über Die Probleme bei Vergewaltigungsprozessen

Die Aussagen gehen weit auseinander, meist gibt es keine Zeugen: Wenn es um sexuelle Übergriffe geht, sind Gerichtsprozesse langwierig und mühsam. Ein Interview mit Monika Andreß, Richterin am Münchner Amtsgericht, über Schuld und die Probleme bei der Wahrheitsfindung.

Nur 13 % der Täter werden in Vergewaltigungsprozessen verurteilt. Bei vielen kommt es gar nicht zum Gerichtsprozess: Aus Scham oder Angst schweigen viele, anstatt ihren Peiniger anzuzeigen. Oft gibt es bei sexuellen Straftaten keine weiteren Zeugen, Beweise fehlen. Auch die rechtliche Lage ist schwierig. Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Übergriff als Vergewaltigung gilt: Der Täter muss Gewalt anwenden, das Opfer bedrohen, oder seine schutzlose Lage ausnutzen.

Frau Andreß, welche Schwierigkeiten gibt es bei Vergewaltigungsprozessen?

Die Versionen von Opfer und Täter gehen weit auseinander. In vielen Fällen ist Alkohol im Spiel. Die Leute können nicht mehr unterscheiden, wo der Spaß aufhört und wo der Ernst anfängt. Kürzlich ging es um zwei Jugendliche, die sich nachts bei McDonalds kennen gelernt haben. Sie haben miteinander geschmust, gingen zusammen auf die Toilette. Plötzlich sagte er: Hose runter. Sie wehrte sich, er ignorierte sie. Es war eine Vergewaltigung, aber das Opfer hat auch Fehler gemacht.

Das Opfer zu beschuldigen, ist aber heikel, oder?

Es hängt vom Verhalten des Opfers ab. Wenn eine Frau nachts ins Gebüsch gezogen wird, ist es etwas anderes, als wenn eine Frau auf die Herrentoilette mitgeht, um rumzuknutschen. Aber niemand darf einer Frau absprechen, zu flirten oder sich sexy anzuziehen.

Wovon hängt Ihre Entscheidung noch ab?

Zum Beispiel vom Verhältnis zwischen Täter und Opfer. Es ist etwas anderes, ob es der Exfreund war oder ein Fremder.

Meist gibt es keine Zeugen. Wie wichtig sind Beweise?

Umso wichtiger. Wir unterscheiden zwischen objektiven und subjektiven Beweisen. Objektiv sind Arztbefunde oder Untersuchungen über Körperflüssigkeiten. Subjektiv muss bewiesen werden, dass der Täter Gewalt oder Drohungen angewandt hat. Und, dass dem Täter klar war, dass es kein einvernehmlicher Sex war. Bei Gewalt gibt es oft blaue Flecken oder zerrissene Kleidung. Die Aussagen des Opfers müssen sich mit den Folgen der Gewaltanwendung passen.

Mussten Sie schon jemanden wegen mangelnder Beweise freisprechen – obwohl Sie sicher waren, dass er schuldig ist?

Das passiert nicht. Irgendwann im Prozess kommt der Punkt, wo man sicher ist. Und dann reichen auch die Beweise aus. Nur ein Fall war schwierig: Eine Teeniegruppe traf sich am Spielplatz, sie tranken Alkohol und kifften. Eins der Pärchen hatte Sex. Hinterher sagte sie, sie wollte es nicht, sie habe sich nicht wehren können. Die anderen waren so besoffen, dass sie als Zeugen nicht getaugt haben. Den jungen Mann haben wir dann freigesprochen. Man konnte sich vorstellen, dass er zu weit gegangen war. Aber ob es wirklich eine Vergewaltigung war?

Wie sehr muss sich das Opfer wehren, damit es als Vergewaltigung gilt?

Das Opfer muss sich eindeutig wehren, körperlich oder verbal. Wenn Alkohol im Spiel ist, ist das schwierig. Die Frau lallt oder kann sich nicht mehr bewegen. Auch bei den Straftatbeständen gibt es eine Grauzone: Grabschen wird als Beleidigung mit sexuellem Hintergrund behandelt. Da würde ich mir eine klare Linie im Gesetz wünschen.

Foto: Alexas_Fotos (CCO 1.0)

Facebooktwittermail

Schreibe einen Kommentar