Gleiche Arbeit, weniger Lohn

Noch immer bekommen Frauen in Deutschland für dieselbe Arbeit weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. Viele Frauen wissen nicht, dass sie benachteiligt werden. Eine Schreinermeisterin aus Stuttgart erfuhr durch Zufall davon und zog vor Gericht.

Als Schreinermeisterin Edeltraud Walla erfährt, wie viel ihr Kollege verdient, hält sie das für einen Irrtum. Der Kollege bekommt monatlich 4400 Euro brutto, sie nur 3100 Euro brutto. Das ist ein Unterschied von mehr als 40 Prozent. Dabei hat der Kollege im Gegensatz zu ihr nicht mal einen Meistertitel. Beide machen die gleiche Arbeit, leiten eine Werkstatt für Architektur-Studierende an der Universität Stuttgart. Ein Irrtum sei das nicht, lässt ihr Arbeitgeber mitteilen und hat auch gleich einen Grund parat: Der höhere Lohn sei historisch bedingt. Ihr Kollege habe vor seiner Tätigkeit als Werkstattleiter künstlerisch gearbeitet. Damit will sich Edeltraud Walla nicht zufriedengeben, sie zieht vor Gericht. Seit sechs Jahren kämpft sie dort für einen gerechten Lohn.

Sind Frauen selbst schuld an der Lohnlücke?

Edeltraud Walla ist ein Extremfall. Meist fällt der Unterschied im Gehalt von Männern und Frauen geringer aus. Frauen erhalten laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt etwa 22 Prozent weniger Lohn. Gender Pay Gap heißt das, zu Deutsch: geschlechtsspezifische Lohnlücke. Nur wie passt das zu Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach niemand aufgrund seines Geschlechts benach teiligt werden darf? Antworten kennt die Ökonomin Christina Boll vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut. Sie hat erforscht, warum es die Lohnlücke trotzdem gibt. Der Grund: Rund die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit, mehr als 60 Prozent der Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Dadurch haben Frauen weniger Berufserfahrung, was sich auch aufs Gehalt auswirkt. Außerdem arbeiten Frauen oft in weniger lukrativen Branchen und erreichen seltener Führungspositionen.

Sind Frauen also selbst schuld an der Lohnlücke, weil sie weniger arbeiten und sich schlecht bezahlte Branchen aussuchen? So einfach ist es nicht. Bei solchen Erklärungen geht es Boll zufolge auch um Diskriminierung: Schließlich hätten Frauen oft gar nicht erst die gleichen Chancen wie Männer, in Führungspositionen zu gelangen. Wegen stereotyper Geschlechterrollen würden sie immer noch oft in Teilzeit arbeiten, um Kindererziehung und Pflege zu übernehmen.

Die Soziologin Karin Tondorf sieht die Lohnlücke eher pragmatisch: „Man muss im Rahmen der geltenden Gesetze bleiben, wenn man etwas erreichen will.“ Sie will sich dagegen stark machen, dass Frauen schlechter verdienen und Frauenberufe schlechter bewertet werden. Beides ist nämlich seit 2006 laut EU-Recht verboten: Wenn Mann und Frau die gleiche oder gleichwertige Arbeit tun, dann müssen sie auch gleich viel verdienen, so steht es in Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

„In vielen Tarifverträgen finden wir trotzdem diskriminierende Regelungen“, sagt Karin Tondorf und beruft sich dabei auf ihre Untersuchungen. Beispielsweise werden Reinigungskräfte, die in Teilzeit arbeiten, aus manchen Tarifverträgen ausgeschlossen. Das sei nicht unmittelbar diskriminierend, treffe aber überwiegend Frauen. Außerdem seien Tätigkeiten, die Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit erfordern – wie etwa Jobs von Sekretärinnen –, oft vergleichsweise niedrig bewertet. Im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat Tondorf deshalb Messinstrumente entwickelt. Damit überprüft sie bei Unternehmen wie etwa der Telekom, ob die Tätigkeiten fair bewertet und die Löhne gerecht sind.

„Über Lohn wird in Deutschland nicht offen gesprochen“, sagt Tondorf

Das Problem: Die meisten Frauen wüssten gar nicht, dass sie weniger verdienen als männliche Kollegen. „Über Lohn wird in Deutschland nicht offen gesprochen“, sagt Tondorf, „das ist ein Grund, warum so wenige Frauen gegen die ungerechte Bezahlung klagen.“

Auch Edeltraud Walla hat nur durch Zufall erfahren, dass ihr Kollege für die gleiche Arbeit deutlich mehr verdient: Im Jahr 2009 sollte ihre Abteilung umstrukturiert werden. Bei einer Sitzung ging ein Handout herum, auf dem alle Beschäftigten der Abteilung mit Werdegang und Verdienst aufgeführt waren. „Hätte es diesen Zufall nicht gegeben, wäre ich heute noch unwissend“, sagt Walla. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, belastet sie. „Nächtelang habe ich mich gefragt: Was kann der Kollege, was ich nicht kann?“ Schließlich ließ sich Walla bei der Gewerkschaft ver.di beraten. Man ermutigte sie, vor Gericht zu gehen. Die Kosten für Anwalt und Prozess wollte die Gewerkschaft übernehmen. „Sonst hätte ich nach der ersten Instanz aufhören müssen“, sagt Walla. Die Schreinermeisterin verliert zuerst vor dem Arbeitsgericht Stuttgart, dann vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Der Grund dafür ist ungewöhnlich. „Ich hätte beweisen müssen, dass ich wegen des Geschlechts benachteiligt werde“, erklärt Walla, „aber das schreibt ja keiner so hin.“

Nur wenige Frauen haben den Mut, vor Gericht zu ziehen. Wer etwa einen befristeten Arbeitsvertrag hat, scheut den Konflikt mit dem Arbeitgeber – aus Angst, keinen Anschlussvertrag zu bekommen. Aber Edeltraud Walla hat einen unbefristeten Vertrag. „Mich kann man nicht so leicht kündigen“, sagt sie.

„Die Lohnlücke kann Frauen davon abschrecken, eine Karriere anzustreben“

Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen. Im Dezember 2015 hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) den Entwurf vorgestellt. Demnach müssen Arbeitgeber Frauen Auskunft geben, wie viel ihre männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit im Durchschnitt verdienen. Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten müssen außerdem prüfen lassen, ob ihre Löhne gerecht sind. Was das Entgeltgleichheitsrecht angeht, biete das Gesetz nichts Neues, meint Karin Tondorf. „Aber es könnte helfen, die schon lange festgeschriebenen Rechtsgrundsätze durchzusetzen“, schätzt sie.
Dass die Löhne gerechter werden müssen, darin sind sich Edeltraud Walla und die Wissenschaftlerinnen Karin Tondorf und Christina Boll einig. „Die Lohnlücke kann Frauen davon abschrecken, eine gute Ausbildung zu machen und eine Karriere anzustreben, weil sie denken, dass sich das finanziell nicht lohnt“, sagt die Ökonomin Boll. „Da können Wachstumsmöglichkeiten verloren gehen.“ Es sei im Interesse der ganzen Gesellschaft, für gerechte Bezahlung zu sorgen. Denn wer im Beruf weniger verdiene, könne auch weniger fürs Alter zurücklegen und bekomme weniger Rente. In der Folge sind Frauen öfter von Altersarmut betroffen als Männer.

„Ich wünsche mir gleiche Rechte für Männer und Frauen“, sagt Walla

Auch Männer würden der Ökonomin zufolge von Lohngerechtigkeit profitieren. Viele würden gerne mehr Zeit mit der Familie verbringen. Weil Männer aber meist besser verdienten, seien sie in der Rolle des Hauptverdieners und Ernährers gefangen. Letztlich würden auch Männer, die in klassischen Frauenberufen tätig sind, von der Aufwertung dieser Tätigkeiten profitieren, sagt Karin Tondorf.

Edeltraud Walla gibt ihren Kampf nicht auf. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat ihr untersagt, Revision einzulegen. 2014 hat sie deshalb Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Doch das Bundesverfassungsgericht hat Wallas Beschwerde ohne Begründung abgelehnt. Nun will Edeltraud Walla beim Europäischen Gerichtshof Klage einreichen.

Inzwischen kämpft sie nicht mehr nur für sich. Seit einiger Zeit ist sie neben ihrem Job als Werkstattleiterin auch Beauftragte für Chancengleichheit an der Universität Stuttgart. Walla berät etwa 1000 Frauen aus dem nichtwissenschaftlichen Bereich. Sie ermutigt sie, für faire Löhne zu kämpfen, und setzt sich dafür ein, dass es bei der Vergabe von neuen Stellen gerecht zugeht. „Ich wünsche mir einen wertschätzenden Umgang und gleiche Rechte für Männer und Frauen“, sagt Walla. „Dafür lohnt es sich, zu kämpfen.“

(Foto: Privat)

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Karen Bauer
Mitglied der 54. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Twitter: @Karen_Bauer_

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