
Sie ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, stellvertretende SPD-Vorsitzende und Mutter zweier Kinder. Ein Q & A mit Manuela Schwesig zu ihrer eigenen Baby-Pause, Geschlechter-Klischees und Familienpolitik.
Rieke Winter und Karen Bauer: Frau Schwesig, ist die Tatsache, dass es ein Ministerium für Frauen gibt, gut oder schlecht?
Manuela Schwesig: Es ist richtig und wichtig, dass es das Bundesfrauenministerium gibt, denn es setzt sich ein für die Rechte der Frauen, stößt Gesetze an und hält auch die anderen Ressorts an, in ihrem Bereich auf die Gleichstellung von Frauen und Männern zu achten. Trotz beachtlicher Fortschritte auf einigen Gebieten sind die Chancen von Frauen und Männern in vielen Bereichen immer noch sehr unterschiedlich: Frauen sind seltener in Führungspositionen in der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik vertreten, sie werden schlechter bezahlt und arbeiten häufiger in Teilzeit. Solange Frauen also noch nicht die gleichen Chancen haben wie Männer, ist es weiterhin nötig, dass es ein Bundesfrauenministerium gibt.
Haben Sie selbst schon einmal Diskriminierung aufgrund Ihres Geschlechts erfahren?
In den sozialen Medien wurde ich als Rabenmutter und Egoistin beschimpft, weil ich nach der Geburt meiner Tochter im März dieses Jahres bereits nach zwei Monaten Elternzeit ins Ministerium zurückgekehrt bin. Wenn eine berufstätige Frau Mutter ist, wächst der Druck von außen: Hat sie überhaupt genug Zeit für ihre Kinder? Nimmt sie sich genug Zeit für den Job? Mit diesen Vorwürfen wird die Verkäuferin im Supermarkt genauso konfrontiert wie ich als Ministerin. Ich finde das unerträglich. Dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Spagat und oft herausfordernd ist, erleben viele Mütter, da brauchen wir nicht auch noch Klischees, die uns das Leben schwer machen. Mein Mann hat übrigens auch erlebt, dass manche am Anfang skeptisch reagiert haben, weil er sich ein ganzes Jahr lang um unsere Tochter kümmert.
Nerven Sie die Fragen à la „Wie bringen Sie Familie und Karriere unter einen Hut?”?
Nein. Aber ich finde es immer wieder erstaunlich, dass den meisten Vätern diese Frage nicht gestellt wird. Viele Frauen wollen heute Kinder haben und arbeiten. Viele Mütter müssen arbeiten. Die Entscheidung, wie mein Mann und ich das handhaben, ist eine ganz private. Seit dem Ende des Mutterschutzes ist mein Mann in Elternzeit und kümmert sich um unsere Kinder, wenn ich in Berlin bin. Wie vor der Geburt meiner Tochter versuche ich auch weiterhin, mir den Mittwochnachmittag und -abend frei zu halten und nach Schwerin zu fahren. Auch der Sonntag soll nach Möglichkeit meiner Familie gehören.
Wofür möchten Sie mehr Geld investieren: billigere Kita-Plätze oder mehr Elterngeld?
Moderne Familienpolitik besteht für mich aus einem Dreiklang: Geld, Zeit und Infrastruktur. Bereits in der Kita wird die Basis für die Entwicklung der Kinder gelegt. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und dem ElterngeldPlus setzen wir Impulse für eine größere wirtschaftliche Stabilität von Familien. Ganz klar ist: Kinder haben ein Recht darauf, gut und sicher aufzuwachsen. Es ist wichtig, dass alle Kinder in Deutschland – unabhängig von ihrer Herkunft – die frühe Chance auf Bildung und Teilhabe bekommen. Wichtig ist auch, dass Eltern sich Zeit für ihre Kinder und das Familienleben nehmen können, ohne in eine wirtschaftliche Schieflage zu kommen. Da setzt nicht nur das ElterngeldPlus, sondern auch mein Modell der Familienarbeitszeit an.
Die Entgeltgleichheit ist eigentlich längst gesetzlich geregelt. Warum braucht es trotzdem das Entgeltgleichheitsgesetz?
Es stimmt: Das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist seit über 50 Jahren geltendes Recht. Aber in Deutschland beträgt die statistische Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern, auch Gender Pay Gap genannt, immer noch 21 Prozent. Das ist eine der größten Ungerechtigkeiten in unserem Land und Beleg dafür, dass wir hier dringend handeln müssen. Frauen sind überproportional häufig in der Care-Arbeit tätig, weil sie oft weniger verdienen als Männer. Wie kann man diesen Teufelskreis durchbrechen? Die sogenannten „typischen“ Frauenberufe, in denen oft gering entlohnt wird, müssen aufgewertet werden. Da sind meine Kollegin Bundesministerin Andrea Nahles und ich genauso dran wie an einem gesetzlich verankerten Recht auf die Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit.
Was tun Sie dafür, dass Frauen nach der Baby-Pause leichter in den Beruf zurückkehren können? Und dass auch Männer länger Baby-Pause machen können?
Den Eltern, die sich gemeinsam intensiv ums Kind kümmern und engagiert im Beruf sein wollen, möchte ich mit der Familienarbeitszeit und dem Familiengeld ein Angebot machen. Ich möchte Väter ermutigen, sich mehr Zeit für ihre Kinder zu nehmen, wie sie es sich wünschen. Und ich möchte Mütter ermutigen, ihre Chancen im Berufsleben zu ergreifen und ihre Existenzen zu sichern, wie sie es sich wünschen und wie sie es benötigen. Beide Partner sollen bis zu 24 Monate Familiengeld bekommen, das Lohneinbußen auffängt, wenn sie beide ihre Arbeitszeit auf 28 – 36 Wochenstunden verringern. Als Familienministerin will ich Familien unterstützen, ihre eigenen Wünsche zu leben.
(Warum) Glauben Sie, dass die Frauenquote Gleichberechtigung bringt?
Mehr Frauen in Führungspositionen werden andere Frauen nachziehen. So wird es mehr Frauen auf allen Hierarchieebenen geben. Die Unternehmen mit fester Quote haben auch eine Strahlkraft nach außen und sind Vorbild für viele kleinere Unternehmen. Es bewegt sich etwas. Frauen werden auf allen Ebenen sichtbarer. Diese Wirkung geht als Signal auch nach innen an die Beschäftigten. Es wird normaler, dass Frauen auf allen Ebenen führen. Das ist der Kulturwandel, den wir erreichen wollen.
Beim Thema Gleichstellung darf man auch diejenigen nicht außer Acht lassen, die sich auf dem Spektrum zwischen „männlich” und „weiblich” nicht an einem der beiden Pole positionieren. Bis zu 54 % der Trans*Menschen sind arbeitslos. Was kann die Politik tun, damit sie es im Berufsleben leichter haben und sie genauso akzeptiert werden wie Personen, die sich eindeutig einem Geschlecht zuordnen?
Die Gleichstellung von trans- und intersexuellen Menschen ist mir ein wichtiges Anliegen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir verurteilen Homophobie und Transphobie und werden entschieden dagegen vorgehen.“ Ich habe aus diesem Grund im Familienministerium erstmals in der Geschichte der Bundesregierung ein eigenes Fachreferat eingerichtet, das zuständig ist für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechtsidentität. Als Bundesfamilienministerin koordiniere ich eine Arbeitsgruppe, in der alle Ministerien an einen Tisch geholt wurden, in deren Zuständigkeitsbereich auch Fragen der Geschlechtsidentität fallen, wie zum Beispiel das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesministerium für Gesundheit. Hier sollen die vielfältigen Problemlagen durch den Austausch mit Fachpersonen und Interessenvertretungen beleuchtet oder Gesetzesvorschläge diskutiert werden. Zwei Rechtsgutachten sollen darüber hinaus Hinweise auf er forderliche Gesetzesänderungen liefern. Neben der Gleichstellungspolitik brauchen wir auch Unterstützungsstrukturen und Beratungsangebote. Am wichtigsten aber ist, dass sich in den Köpfen etwas bewegt. Darum setze ich auch auf Sensibilisierung und Aufklärung. Hier sind nicht nur die Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft gefragt, sondern beispielsweise klare Statements von Unternehmensführungen, dass Ausgrenzung und Stigmatisierung nicht gewollt werden. Schon ganz einfache Maßnahmen, wie zum Beispiel die Umwidmung zumindest einer Toilette zur sogenannten Unisex-Toilette, hilft transsexuellen Menschen aus einer unangenehmen Bedrängnis und kann zu wirklicher Gleichstellung beitragen.
Glauben Sie, dass Sie den Posten der Familienministerin auch dann innehaben würden, wenn Sie inter- oder transsexuell wären?
Ich würde es mir sehr wünschen, dass das Amt der Familienministerin nur von fachlichen und politischen Fähigkeiten und nicht vom Geschlecht und von der Geschlechtsidentität abhängig ist. Aber geoutete trans- und intersexuelle Menschen berichten ja immer wieder, dass sie es im Berufsleben noch sehr schwer haben und oftmals auf ihre Geschlechtsidentität reduziert werden. Genauso wie es für alle politischen und unternehmerischen Führungsaufgaben irrelevant sein sollte, ob ich eine Frau und Mutter bin, sollte es jedoch auch egal sein, ob ich trans- oder intersexuell bin.
(Foto: Susie Knoll)
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